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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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sprechen. Auch wenn es verdammt pathetisch klang.
    »Ach, übrigens«, sagte Jörgen, während er seine Jacke anzog. »Es gibt da etwas, das du vielleicht gerne erfahren möchtest.«
    Er ging auf Helle zu und legte vorsichtig seine Hand auf ihren Bauch.
    »Was?«
    »Ja, so ist es. Du wirst irgendwann nach Neujahr Großvater werden. Wir bekommen nämlich ein Kind.«
    Er weinte, als er am Fenster stand und sie in Jörgens Auto einsteigen sah. Er weinte, während er die Becher spülte. Er beförderte die trockenen Kekse in den Mülleimer und weinte, sodass es ihm beinahe den Schädel sprengte.
    Berit. Sie hätte diesen Moment erleben müssen. Sie hätte gelacht, den Kopf in den Nacken geworfen und laut gelacht. Er hörte ihre Stimme aus der Küche.
    »Ich will so unglaublich gerne Oma werden, ach, was ich mich darauf freue! Aber mit einem Opa verheiratet zu sein … hm, das ist natürlich etwas anderes.«
    Er holte das Foto von ihr und betrachtete es.
    »Mein kleines Mädchen«, sagte er betrübt. »Meine Liebe.«

ER WAR FÜR EINE WEILE nach draußen gegangen. Zumindest sagte er, dass er eine Weile weg sei und dass er zurückkommen würde. Sie wusste nicht, was schlimmer war. Ihn im Raum zu haben, launisch und lebensgefährlich. Oder ganz allein hier zu liegen und nicht zu wissen, ob sie jemals wieder freikommen würde. Es pochte in ihren Armen und Fußknöcheln. Die Riemen spannten. Sie versuchte, ihre Finger zu bewegen, die Zehen, die Blutzirkulation in Gang zu bringen. Ihr ganzer Körper tat weh.
    Manchmal raschelte es in der kleinen Nische hinter dem Vorhang. Wie winzige Mäusefüße, die dort umhertrippelten, mit ihren kleinen scharfen Krallen. Er hatte die Kerzen ausgeblasen, als er ging. Es roch modrig, sie fror, und ihr war übel. Das hier war die Hölle. Sie war in die Hölle geraten. In die Hölle, mit all den alten Gespenstern.
    Zuerst diese Frau, Jill. Justines erster Gedanke war gewesen: Berit! Für ein paar Sekunden flossen ihre Gesichter ineinander. Ihre Magenwände wanden sich wie Schlangen. Dann begriff sie.
    Die Geschichte wiederholte sich. Sie kamen zu ihr und stellten Fragen. Griffen alte Episoden aus ihrer Kindheit wieder auf. Aber all das hatte sich inzwischen erledigt. Dass sie das nicht verstehen wollten!
    Sie begannen, von Berit zu sprechen. Was sie gesagt und getan hatte.
    Sie hatte Jill nicht ins Haus lassen wollen. Wollte es nicht besudeln lassen. Berit hatte es bereits besudelt. Sie war in ihrem ganz privaten Bereich herumgetrampelt und hätte ihn beinahe zerstört. Es hatte viele Jahre gebraucht, um den Schaden wieder gutzumachen.
    »Liebe Justine, könnte ich bitte kurz hereinkommen und deine Toilette benutzen?« Jills flehender Blick. Dass die Gesichtszüge sich im Zuge des Erwachsenwerdens so ins Negative verändern konnten, die Nasen und Ohren klobig wurden und die Haut großporig und derb. Und dennoch hatte Justine sie wiedererkannt. Genauso, wie sie Berit erkannt hatte.
    Eine ganze Gruppe waren sie damals auf dem Berg gewesen. Berit und Evy und Gerd. Und dann natürlich Jill, irgendwo im Hintergrund. Sie hatten sie auf den unebenen Steinen niedergerungen und sich auf sie gekniet. Jetzt werden wir nachschauen, wie sie aussieht. Justine wehrte sich mit Händen und Füßen, kratzte mit ihren Fingernägeln, bis die Haut der Mädchen feucht und rutschig wurde. Doch es half nichts. Sie begannen, ihr die Kleider auszuziehen.
    »Bitte«, flehte Jill von neuem, und jetzt war es die erwachsene Jill mit der großen Nase. »Könnte ich nur kurz deine Toilette benutzen?«
    »Tut mir leid«, hatte sie geantwortet. »Das geht leider nicht.«
    Jill hatte sich umgedreht und war schnell in Richtung Pforte gelaufen.
    Kurz danach kam Micke.
     
    Sie hätte reingehen sollen. Ins Haus gehen und hinter sich abschließen. Ihre Kleider waren nass, sie hätte sich drinnen umziehen müssen. Stattdessen blieb sie im kalten Wind stehen.
    Hans Peter, dachte sie. Er machte sich inzwischen bestimmt Sorgen. Hatte er vielleicht schon vom Hotel aus versucht, sie zu erreichen? Oder würde er möglicherweise nicht vor dem nächsten Morgen, wenn er vom Hotel nach Hause käme, merken, dass sie weg war? Wie war es noch gleich? Würde er nun heute Nacht arbeiten müssen, oder hatte er frei? Irgendetwas war mit Ariadne. Ihr Mann war überraschend gestorben. Hans Peter war zu ihr gefahren, um sie zu unterstützen.
    Wenn sie selbst nun auch sterben würde. Noch dazu in den Fängen eines Verrückten.
    Er hatte so merkwürdiges
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