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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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derselbe. Er fingerte an seiner Brille herum, sein Gesicht war vom Weinen gezeichnet. Das brachte ihn selbst zum Weinen, ließ ihn die Kontrolle verlieren.
    »Wenn es sich nun tatsächlich um sie handelt … dann ist es wohl dennoch eine Art Schlusspunkt«, murmelte Helle. Ihre Wangen waren runder geworden, sie musste zugenommen haben. »Und das kann, glaube ich, nur gut für uns alle sein, wie traurig und endgültig es auch ist.«
    Marika nickte.
    »Wir haben ja alle bereits vermutet, dass es sich so verhält. Eure Mutter würde sich niemals freiwillig so lange fernhalten. So war sie nicht.«
    Was weißt du schon davon?, dachte Tor.
    »Sie ist also ertrunken?«, fragte Jörgen sachlich und beherrscht, als handele es sich um eine Unbekannte.
    »Vieles deutet darauf hin.«
    »Aber lag nicht an dem Tag, als sie verschwunden ist, Eis auf dem Mälarsee?«
    »Sie muss aufs Eis hinausgegangen und dann eingebrochen sein.«
    Er sah es vor sich, das tiefe kalte Loch, und wie sie verzweifelt versuchte, die Kante zu ergreifen, wie sie panisch schrie und um Hilfe rief. Sie war allein draußen auf dem Eis. Was zum Teufel hatte sie dort verloren?
    Jens saß da und kaute an seinen Fingernägeln.
    »So unvernünftig«, sagte er dann mit belegter Stimme. »Ganz allein einfach so hinauszugehen. Das weiß doch jedes Kind, wie verdammt gefährlich das ist.«
    »Aber es ist nicht immer die Vernunft, die entscheidet«, entgegnete Marika. Ihr Haar war länger geworden, sie hatte es zu einem Knoten hochgesteckt. Diese Frisur ließ sie erwachsener wirken. Sie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, verstummte aber.
    Jens sah ihn an, schüchtern und hilflos.
    »Darf ich dich eine Sache fragen, Papa? Habt ihr euch an diesem Tag gestritten?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich bin nach Vätö rausgefahren. Es lag nichts Besonderes an, ich wollte einfach hinfahren. Bei der Arbeit war in der Woche zuvor extrem viel zu tun gewesen. Ich habe sie mehrmals gefragt, ob sie mitwollte. Aber sie wollte nicht. Sie wollte um jeden Preis nach Hässelby.«
     
    »Möchtet ihr noch Tee?«, fragte er.
    Marika griff nach der Kanne und schenkte nach. Es war eine kitschige und unpraktische Teekanne, die wie ein Haus geformt war. Berit hatte sie zum Geburtstag bekommen. Keiner aß von den Keksen. Tor nahm einen und brach ihn entzwei.
    »Wir haben noch keinen endgültigen Bescheid«, erklärte er. »Es wird wahrscheinlich einige Monate dauern. Wegen der DNA-Proben und Ähnlichem.«
    »Aber es handelt sich um sie«, meinte Jörgen überzeugt. »Sie muss es sein, denk daran, was sie über die Zähne gesagt haben.«
    »Ja, schon. Aber sie wollen erst hundertprozentig sichergehen.«
    »Wird es dann ein Begräbnis geben?«, fragte Jens. Er hatte sich beruhigt, saß nun da und hielt Marikas Hand.
    »Ja, das nehme ich an«, antwortete Tor vage.
    »Und wo wird sie begraben werden?«, fragte Jörgen. Er trug einen Ring am Finger, einen aus Weißgold. Auch Helle trug einen Ring. Hatten sie sich verlobt, ohne dass er davon erfuhr? Oder waren sie sogar verheiratet?
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er.
    »In Omas und Opas Grab in Hässelby?«
    »Wir werden sehen.«
    »Nicht in diesem verdammten Hässelby!«, platzte Jens heraus. »Ich bin absolut dagegen! Dieser Ort ist verflucht! Man müsste ihn von allen Landkarten entfernen.«
     
    Tor ging in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. Er hörte ihre Stimmen aus dem Wohnzimmer. Es klang ungewohnt. Sonst war es immer so still. Jemand kam hinter ihm hergeschlichen. Marika. Eine Spange hatte sich aus ihrem Haar gelöst. Sie war dabei, sie wieder festzustecken.
    »Jens ist sehr traurig, es geht ihm so furchtbar nahe. Aber es ist gut, wenn er seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Es waren schwierige Jahre. Es ging ihm wirklich schlecht.«
    »Ja.« Er atmete tief ein.
    »Und wie ist es für dich?«, fragte sie.
    »Genauso aufwühlend.«
    »Ja.«
    »Wir wissen es ja noch nicht genau«, setzte er hinzu.
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Aber wenn es so ist … wenn es wirklich ist, wie wir vermuten.«
    »Ja.«
    Er begann zu weinen. Er riss ein Stück Haushaltspapier ab und presste es fest gegen seine Augen.
    »Tor«, beschwichtigte sie ihn. »Wir haben so viel an dich gedacht. Sowohl ich als auch die anderen.«
     
    Als sie sich wieder auf den Weg machen wollten, umarmte er sie. Erst die Mädchen und dann Jörgen und Jens.
    »Ich bin froh, dass ihr zurückgekommen seid«, sagte er, und es gelang ihm, mit einigermaßen fester Stimme zu
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