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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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Zeug von sich gegeben, beinahe wie im Wahn. Sie Mrs. Tucker genannt. Wer mochte das nur sein?
    »Gewisse Menschen verdienen es zu sterben«, hatte er gesagt, und im Schein der Flammen sah sein Gesicht entstellt aus. Er hatte Pickel auf der Stirn, und quer über seine Nase verlief eine Narbe. Er würde sie tatsächlich töten! Das begriff sie jetzt. Er war vollkommen krank im Kopf. Sie riss verzweifelt an den Riemen. Doch sie bewegten sich keinen Millimeter.
    Ein Junge von gerade mal zwanzig Jahren. Ein Kind. Das war es, was er war. Ein verletztes und vernachlässigtes Kind mit krankhaften Fantasien.
    Genau wie sie selbst.
     
    Als die Tür aufging, schrie sie vor Schreck auf. Das machte ihn rasend. Sie hörte, wie er sich seine Jacke vom Leib riss und sie hin- und herschleuderte, um die Nässe abzuschütteln. Dann stürzte er auf sie zu.
    »Du sollst deinen Mund halten«, knurrte er. »Eine Mörderin hat nichts zu melden.«
    Seine Finger waren feucht und kalt. Wasser tropfte von seinen Haaren.
    »Mörderin?«, flüsterte sie verzweifelt.
    Er ging durch den Raum und zündete die Kerzen an. Sie glichen kleinen Teelichtern, solchen, die man auf die Gräber stellt.
    »Lieber Micke, lass mich frei. Bitte, lass mich gehen.«
    »Nope!«, entgegnete er hart.
    »Ich flehe dich an, du bekommst, was du willst. Ich habe Geld, ich kann dich bezahlen. Ich gebe dir alles, was du willst, wenn du mich nur gehen lässt.«
    Er nahm eines der Lichter und hielt es über sie. Heißes Wachs rann auf ihr Kinn. Es brannte, aber sie spürte es nicht.
    »Sogar der Papst hat schon darum gefleht«, entgegnete er in demselben weinerlichen Ton wie sie. »Aber ich sage nope.«
    In dem Moment begann sie zu schreien und sich aufzubäumen, die Panik erfasste sie wie lodernde Flammen. Er schlug erneut zu, wieder auf den Kopf. Und dann wurde es still.
     
    Es war kein Traum, es war Wirklichkeit. Eine grausame, böse Wirklichkeit. Sie war wieder wach geworden. Er stand am Tisch und machte irgendetwas mit ihrem Arm. Hinter ihren Augenlidern blitzte es vor Schmerzen. Sie lag im flackernden Schein der Kerzen und fror nicht länger, im Gegenteil, ihr war ganz heiß.
    Er stand dort und zog am Ärmel ihrer Judokluft, versuchte, ihn hochzukrempeln. Doch der Stoff war steif und voller Säume. Schließlich lockerte er den Riemen um ihren linken Arm, zog den Jackenärmel hoch und spannte den Riemen wieder am Tisch fest. Ihre Gliedmaßen waren taub geworden. Plötzlich brach ihr am ganzen Körper der Schweiß aus, gleichzeitig schlotterte sie jedoch vor Kälte.
    Sie versuchte, seinen Blick zu erhaschen, doch er war beschäftigt, er raschelte mit einer Plastiktüte, etwas schimmerte im Licht, eine Nadel. Ihre Zähne begannen so heftig zu klappern, dass selbst er es hörte.
    »Haben Sie Angst vor dem Tod, Mrs. Tucker?«, fragte er und strich ihr über die Wange.
    Sie versuchte zu antworten, versuchte sich aufzusetzen, versuchte, etwas zu sagen, doch ihre Zunge war steif und wie gelähmt.
    Dann erkannte sie die Spritze. Eine Injektionsspritze. Sie spürte, wie sie zu hyperventilieren begann. Er hielt die Spritze gegen das Licht und summte vor sich hin. Ergriff dann ihren entblößten Arm.
    »Sind Sie jetzt bereit, Mrs. Tueker? Es wird Zeit.«

ARIADNE HATTE IHN gebeten, ins Hotel zu kommen. Sie wollte sich auf neutralem Boden, wie sie es genannt hatte, mit ihm treffen. Hans Peter verstand nicht so recht, was sie damit meinte. Aber sie war wohl nach all dem, was geschehen war, nicht ganz im Gleichgewicht. Verständlicherweise.
    Sie wartete im Frühstücksraum. Christa war mitgekommen, in ihrer hellgelben Steppjacke wirkte sie ziemlich füllig. Obwohl sie sich drinnen aufhielt, hatte sie die Jacke angelassen, den Reißverschluss bis zum Kinn hochgezogen. Ihre Hand war schlaff und fleischig.
    »Hallo, Christa. Ich bin es, Hans Peter, falls du dich an mich erinnerst. Du warst ja schon öfter hier, als du noch kleiner warst.«
    Sie antwortete nicht.
    Ariadne hatte Kaffee gekocht. Sie hatte einen Blätterteigkranz gekauft und war gerade dabei, das klebrige Gebäck aufzuschneiden. Sie lächelte ihm unsicher zu. Die blauen Flecken in ihrem Gesicht waren noch erkennbar, aber sie traten nicht mehr so deutlich hervor.
    »Danke, dass du gekommen bist«, begrüßte sie ihn.
    Aus dem Obergeschoss hörten sie das Geräusch des Staubsaugers. Es war die andere Putzfrau, die mit Hans Peters Kollegen gemeinsam ihre Schicht antrat. Sie kannten einander nicht näher, hatten sich bisher
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