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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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Jaulen, wie bei einem Hund, den man gerade erstickte.
    »Geh!«, rief er. »Hau ab und verschwinde von hier.«
    Sie rührte sich nicht.
    Er stürzte zum Lichtschalter und schaltete das Deckenlicht an. Ein flackernder, blassgelber Schein, der den Raum kaum zu erhellen vermochte. Er durfte nicht vergessen, später die Glühbirne auszuwechseln, eine stärkere reinzudrehen, für sie war es viel zu dunkel, für Henry und Märta. Aber vielleicht wollten sie auch Strom sparen, sich lieber im Dunkeln vorantasten, als eine höhere Wattzahl zu nehmen.
    Eine Frau mit Nathans Judokluft am Körper lag auf dem Tisch. Was für eine Farce! Was für eine verdammte Farce!
    »Hallo!«, rief er.
    Sie antwortete nicht. Und wenn sie nun tot war? Wenn er ihr eine solche Angst eingejagt hatte, dass er plötzlich mit einer Leiche dastand, die er irgendwie loswerden musste? Zu allem verfluchten Elend! Verdammt.
    Plötzlich bekam er ernsthaft Angst. Wenn es nun tatsächlich so war!
    Er hatte die Nadel nicht in ihre Haut gestochen, und selbst wenn, so war die Kanüle immerhin leer gewesen. Die Nadelspitze war auf keinen Fall durch ihre Haut hindurchgedrungen, er hatte sie zwar eingedrückt, sodass eine Vertiefung entstanden war, aber kein Loch, das nicht. Ihr Brustkorb hatte sich wie nach einem Marathonlauf in schnellem Rhythmus aufgepumpt und wieder gesenkt, ihren roten BH wie eine blutende Wunde freigebend. Wenn nun ihr Herz stehen geblieben war? Ihm fiel ein, dass man aufgrund eines Schocks sterben konnte, sozusagen vor Schreck, er erinnerte sich an das Kaninchen, das einem Jungen aus seiner Klasse gehört hatte, ein Männchen mit Hängeohren. Eines Tages war Robin mit seinem Hund gekommen. Der Hund war guter Dinge und wollte spielen und sprang voller Neugier auf das Kaninchen zu, das in seinem Käfig auf dem Küchenfußboden hockte. Ein pfeifendes Wimmern, und dann war es tot. Lag mit erschlafften Pfoten dort.
    »Du?«, murmelte er. »Es tut mir leid, ich hab’s mir anders überlegt, du kannst gehen.«
    Sie war festgespannt. Natürlich bewegte sie sich deshalb nicht. Sie konnte nicht aufstehen, wenn er sie nicht losmachte. Wenn sie nun tatsächlich nur deswegen nicht reagierte, so war es doch, oder? Er stand an der Tür, bereit wegzurennen. Wenn sie nun kalt und steif war und nicht mehr erwachte? Was sollte er dann nur tun? Was zum Teufel sollte er tun?
    Nein. Er musste nachsehen. Er schüttelte sich und schlich zum Tisch. Berührte ihre Wange, nicht kalt. Aber auch nicht warm. Es dauerte wahrscheinlich eine Weile, bis Rigor mortis, die Totenstarre, eintrat. Rigor mortis, dachte er und kicherte nervös. Auf seinem Rücken bildete sich eine Gänsehaut.
    Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!
    Er tastete nach den Riemen, löste sie mit flatternden Händen, ihr ganzer Körper fiel in sich zusammen, und seine Faust fuhr triumphierend nach oben. Ja. Sie lebte. Atmete. Begann sogar zu husten.
    Er schob einen Arm unter ihren Oberkörper und half ihr, sich aufzusetzen.
    »Du kannst gehen!«, rief er. »Ich hab gesagt, dass du gehen kannst.«
    Langsam öffnete sie die Augen. Schaute gewissermaßen an ihm vorbei.
    Er griff nach ihren Kleidern und warf sie auf den Tisch.
    »Hier. Zieh dich an und geh.«
    Unendlich langsam kam sie mit den Füßen auf den Boden herunter. Rieb sich die Handgelenke, massierte sie. Er ging zum Fenster. Man konnte nicht hinausschauen. Die Fensterläden. Ein kitschiger Ziergegenstand auf der Fensterbank, eine kleine Katze aus Keramik. Sie fühlte sich wie Eis in seinen Handflächen an.
     
    Er presste seine Stirn an die Fensterscheibe und hörte, wie sie sich anzog. Sie hatte es plötzlich eilig, als erwartete sie, dass er es sich jeden Moment anders überlegen würde. Plötzlich wurde ihm bewusst, was sie tun würde. Natürlich zur Polizei gehen. Und die Polizei würde ausrücken und ihn festnehmen. Sie würden bis vor das Kleingartenhäuschen fahren und es dann mit gezogenen Waffen stürmen. Ihn zu Boden ringen und ihm Handschellen anlegen.
    Okay, dann tu es eben. Geh, verdammt noch mal, zu den Bullen.
    Er würde hier bleiben und auf sie warten.
    Okay, ich gestehe. Ich bin krank im Kopf. Lochen Sie mich ein, zum Teufel, lochen Sie mich ein.
    Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde und es kalt vom Boden her zog. Ein welkes Blatt wehte herein, wirbelte für einige Sekunden umher, bis es schließlich auf den Teppich segelte und liegen blieb. Dann hörte er ihre Stimme, belegt und heiser, als hätte sie eine
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