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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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dennoch versuchte er, ihr entgegenzukommen.
    »Kinder können so grausam sein«, sagte er.
    Sie ließ sich nicht verleiten.
    »Wie Sie wissen, ist es lange her. Und ich war ja auch nicht gerade ein Unschuldslamm.«
    Er hatte Berits Pass zu Hause in der Schreibtischschublade gefunden und zog ihn nun aus seiner Jackentasche.
    »Eine Zeit lang habe ich geglaubt, tja, dass sie möglicherweise irgendwohin gereist ist. Aber schauen Sie selbst, das ist sie nicht. Sie ist in jedem Fall noch im Land.«
    Es war, als müsse er diese widerstrebende Frau um jeden Preis in seine Suche einbeziehen. Sie warf ihm einen hastigen, scheuen Blick zu.
    »Haben Sie schon mal daran gedacht, dass sie möglicherweise einfach nur für eine Weile ihre Ruhe haben will?«
    »Ihre Ruhe, warum?«
    »Na ja, sie hat mir ein wenig davon erzählt … wie es zwischen Ihnen beiden ist.«
    Er war unmittelbar auf der Hut.
    »Sie hat mehrmals geweint. Ja, sie saß hier und flennte regelrecht. Sagte etwas in der Art, dass Sie nicht mehr viel gemeinsam hätten. Was bleibt mir denn noch, meinte sie, ohne Arbeit oder Liebe, etwas in der Art.«
    Ein Ziehen durchfuhr sein Zwerchfell. Was bleibt mir denn noch?
    Die Jungen, unsere beiden Jungs, hatte er gedacht. Ihm wurde bewusst, dass er gezwungen sein würde, ihnen zu erzählen, dass etwas sehr Besorgniserregendes passiert war.

HANS PETER BERGMAN STAND UNTER DER DUSCHE, als das Telefon klingelte. Er hörte vage die Signale durch das Wasserrauschen und wäre beinahe auf dem Seifenschaum ausgerutscht.
    »Justine!«, rief er, erinnerte sich dann jedoch, dass sie nicht im Haus war. Sie war wie so oft zum Boot hinuntergegangen, wahrscheinlich ruderte sie bereits hinaus. Er brauchte natürlich nicht unbedingt ranzugehen. Andererseits fürchtete er, dass es etwas Wichtiges sein könnte. Seine Mutter hatte bereits ihren zweiten Herzinfarkt hinter sich und war gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Hastig drehte er das Wasser ab und wickelte sich ein Badetuch um den Körper. Ging mit bloßen Füßen hinaus in den Flur.
    Es war Ulf, sein Chef.
    »Störe ich?«
    »Nein, keinesfalls.«
    »Du, ich muss mit dir über eine Sache reden.«
    »Aha. Jetzt gleich, oder?«
    »Am liebsten nicht am Telefon. Ich wollte fragen, ob du heute etwas früher kommen könntest?«
    »Ja, das kann ich einrichten. Um was geht’s denn?«
    »Probleme«, lautete die kurze Antwort.
    »Irgendetwas Ernstes?«
    »Das möchte ich lieber nicht am Telefon besprechen«, wich er wieder aus.
    »Okay, ich komme, so schnell ich kann.«
    Hans Peter hatte seinen Job als Nachtportier im Hotel Drei Rosen auf der Drottninggata im Zentrum Stockholms behalten. Ein kleines, persönliches Hotel mit einem unzeitgemäßen Service. Dazu gehörte zum Beispiel das Privileg eines jeden Gastes, seine Schuhe putzen zu lassen, indem er sie einfach vor die Zimmertür stellte. Ulf besaß drei Hotels im Großraum Stockholm, alle in demselben Stil. Die Zimmer waren schlicht, strahlten jedoch eine wohnliche Atmosphäre aus. Hans Peter arbeitete schon lange für Ulf, abgesehen von dem kurzen Zeitraum vor vier Jahren, als das Drei Rosen umgebaut wurde. Die Zimmer waren modernisiert und jeweils mit Dusche und Toilette ausgestattet worden, die sich vorher auf dem Flur befunden hatten.
    Als er bei Justine einzog, hatte sie vorgeschlagen, dass er aufhören solle zu arbeiten.
    »Ich habe genug für uns beide«, sagte sie und schenkte ihm ihr undefinierbares, in sich gekehrtes Lächeln. »Was Papa hinterlassen hat, reicht gut und gerne für uns beide.«
    Hans Peter nahm ihr Gesicht in seine Hände.
    »Glaubst du wirklich, dass das auf Dauer gut gehen würde? Dass ich wie ein Parasit von dir lebe?«
    Sie entzog sich nicht.
    »Kein Parasit. Aber du sollst bei mir sein. Die ganze Zeit.«
    Ein Ziehen durchfuhr ihn.
    »Das bin ich ja auch«, erwiderte er. »Ich kehre doch nach der Arbeit zu dir zurück.«
     
    Er ging zurück ins Bad. Während er sich anzog, schaute er in den Garten hinaus. Der Vogel war draußen. Um einen Kirschbaum herum hatte er eine Voliere aus Maschendraht und Holz für ihn gebaut. Es gab auch ein kleines Haus, in dem der Vogel hocken konnte, wenn er wollte. Denn eigentlich war er ja an Räume gewöhnt. Die Hälfte des Jahres verbrachte er nun im Garten, von April bis einschließlich Oktober. Hans Peter empfand das als große Erleichterung. Es war schließlich nicht normal, einen so großen und lebhaften Vogel in einem gewöhnlichen Wohnhaus zu halten. Außerdem
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