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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser
Autoren: Inger Frimansson
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machte er Dreck. Justine breitete zwar Zeitungen aus. aber das half nicht viel. Hans Peter hatte irgendwo gelesen, dass Vögel jede Viertelstunde kacken. Es schien tatsächlich zu stimmen. Nicht, dass er Angst vor dem Vogel gehabt hätte, das Tier hatte sich ihm gegenüber nie drohend gebärdet, auch wenn es zwischenzeitlich die Flügel ausbreitete und mit ihnen herumfuchtelte, sodass sich kleine schmierige Federpartikel lösten und über die Möbel und den Fußboden segelten. Der Vogel konnte auch den Schnabel öffnen und ein dumpfes und knarrendes Gurren ausstoßen, doch das war nach Justines Einschätzung ein Zeichen dafür, dass es ihm gut ging. So klingen Vögel, wenn sie sich wohlfühlen. Im Großen und Ganzen bevorzugte er Justine, schien aber nichts dagegen zu haben, dass Hans Peter bei ihr einzog. Einige Male hatte er ihm sogar schon über den Rücken streichen dürfen. Er war erstaunt darüber, wie fest und warm sich das Tier anfühlte.
    Sie hatte den Vogel von einem Ehepaar aus Saltsjöbaden übernommen, das in Scheidung lebte. Als Jungvogel war er aus dem Nest gefallen und beinahe von einer Katze gefressen worden. Der Mann und die Frau hatten ihn gerettet. Inzwischen war er so stark von Menschen geprägt, dass er es nicht überleben würde, in die Freiheit entlassen zu werden. Justine hatte die Anzeige gelesen: »Vogel zu verkaufen aufgrund veränderter Familienverhältnisse«. Von einem Impuls ergriffen, war sie sofort hingefahren.
    »Ich habe mich immer nach Tieren gesehnt«, hatte sie Hans Peter bei einem ihrer ersten Treffen gestanden. »Aber ich hatte nie welche.«
    Erst viel später erklärte sie ihm, warum. Flora, ihre Stiefmutter, mochte keine Tiere, sie hatte Angst und ekelte sich vor ihnen, lehnte sie schlichtweg ab.
    »Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir ein Lebewesen gewünscht habe, um das ich mich kümmern könnte, eins, das sich zu mir hingezogen fühlt, das nur mir gehört. Aber sie ließ sich nicht darauf ein.«
    »Und dein Vater?«, fragte er. »Konnte er sie nicht überreden?«
    Sie verzog den Mund zu einer schiefen und höhnischen Grimasse.
    »Nein«, sagte sie bestimmt.
    Sie hatte sich ein Meerschweinchen angeschafft, als Flora ins Pflegeheim kam. Ein braunes, längliches Ding, das einer Ratte ähnelte. Sie nannte es Rattie, aber nun lebte es nicht mehr und war unter den Fliederbüschen im Garten begraben. Flora lebte ebenfalls nicht mehr.
    »Rattie sollte an die Schlangen verfüttert werden«, erklärte Justine. »Keiner hatte es kaufen wollen, und die Tierhandlung war dabei, den Kleintierverkauf einzustellen. Sie wollten in Zukunft mit Reptilien handeln. Ich glaube, es hat ihnen leid getan, und so haben sie es mir geschenkt.«
    Ihr Blick nahm einen frostigen Zug an.
    »Einmal habe ich Rattie mit zu Flora genommen«, verriet sie, wobei der eine Nerv unter ihrem Auge zuckte. »Sie saß da in ihrem Rollstuhl. Rattie hinterließ augenblicklich ein paar Kötel in ihrem Schoß, ich glaube, dass das kleine Kerlchen nervös wurde. Das wurde man nämlich in Floras Gegenwart.«
    Sie lachte schrill und schallend.
    »So war das damals«, schloss sie.
    »Aber heute ist es anders«, flüsterte er und zog sie zu sich. »Heute sind nur wir beide da. Vergiss alles Schwere, was gewesen ist. Ich werde dir dabei helfen, das verspreche ich.«
     
    Hans Peter sah auf die Uhr. Kurz nach zwei. Normalerweise begann seine Schicht gegen sechs Uhr abends. Nun musste er sich also direkt auf den Weg machen. Er zog eine Jeans und ein kurzärmeliges Baumwollhemd an. Es war Spätsommer, und eine plötzlich einsetzende Hitzewelle hatte einige verregnete Wochen abgelöst. Aufgrund der Feuchtigkeit war die Vegetation förmlich explodiert. Weder er noch Justine hatten großen Spaß an der Gartenarbeit. Das Grundstück fiel zum Mälarsee hin ab, geschützt und uneinsehbar, sodass sie sich nicht allzu sehr anstrengen mussten, dem Wachstum Einhalt zu gebieten. Wenn es ihnen jedoch zu viel wurde, nahmen sie sich einen alten Gärtner aus Hässelby gård zu Hilfe. Ein kleiner, drahtiger Mann mit offensichtlichen Alkoholproblemen. Hans Peter hatte ihn im Laufe des Sommers ein paar Mal vergeblich zu erreichen versucht. Wahrscheinlich trank er. Oder war wieder vom rechten Weg abgekommen, wie seine Mutter über einen Nachbarn zu sagen pflegte, der Quartalssäufer war.
    »Er ist wieder vom rechten Weg abgekommen, der Lindman von gegenüber. Es ist zu traurig.«
    Eigentlich müsste das Gras gemäht werden, stellte Hans Peter fest.
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