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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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»Das klingt, als ob sich das über einen längeren Zeitraum erstreckt hätte?«
      Kovacz zögerte. »Nach den Abbauprodukten im Körper zu schließen, können das drei oder vier Tage gewesen sein. Aber Vorsicht: Es gibt dazu keine gesicherten Erfahrungswerte. Vor Gericht könnte ich auch nur sagen, dass der Tee mit dem Barbiturat meines Erachtens dem Mann eingeflößt worden ist. Beweisen kann ich es nicht.«
    »Können Sie denn feststellen, wie lange Tiefenbach diese Medikamente schon genommen hat? War er möglicherweise sozusagen schon immun?«
      »Das allerdings lässt sich genau beantworten«, antwortete Kovacz. »Der Mann hat diese Medikamente erst in der letzten Woche seines Lebens genommen. An der Flasche hing er schon länger.«
      »Es muss also jemand geben, der Tiefenbach diese Mittel verschafft hat. Kann es sein, dass ihm jemand einen pharmazeutischen Knock-out verpasst hat?«
      »Nicht auszuschließen, schwer zu beweisen. Aber es muss jemand gewesen sein, der Zugang zur Quelle hat. Weder das Pentobarbital noch Perazin oder Sansopan bekommen Sie in der Drogerie.«
      »Die Leute kriegen viel, was sie nicht in der Drogerie kriegen sollten«, sagte Berndorf. Dann machte er einen letzten Versuch: »Wenn der Mann tagelang in einer Art Tiefschlaf gehalten wurde, dann muss das doch jemand gesteuert haben, der diese Medikamente exakt dosieren kann?«

      »Wenn das alles beabsichtigt war: dann ja. Aber vielleicht hat da auch nur jemand ausprobieren wollen, wie viel der Mann verträgt. Trial and error. Versuch und Irrtum. Alles reine Spekulation. Eine Glaubensfrage. Und was Sie glauben sollen, müssen Sie den Papst fragen. Oder den Professor Küng in Tübingen.«
    »Leider bin ich evangelisch«, antwortete Berndorf.
     
    Zurück in seinem Büro, rief Berndorf die Görlitzer Kollegen an. Dort hatte ein Kommissar Rauwolf den Fall übernommen; seine Stimme klang bedächtig. Er habe mit der früheren Frau des Heinz Tiefenbach gesprochen, sagte er, einer Lehrerin. »Sie war sichtlich betroffen. Vielleicht sollte ich besser sagen, sie war traurig. Und sie konnte sich nicht erklären, warum er nach Süddeutschland gefahren sein sollte. Allerdings habe sie zuletzt nicht mehr viel Kontakt mit ihm gehabt.«
    »War sie sehr überrascht?«
    »Schwer zu sagen«, antwortete Rauwolf. »Wenn ich zu den Leuten komme, habe ich das Gefühl, sie sehen es mir schon an, dass es ein Unglück gegeben hat.«
    Sonst kämen wir ja nicht, dachte Berndorf. Dann wollte er wissen, ob die Ehe einvernehmlich geschieden worden sei.
    »So sagt sie es«, antwortete Rauwolf. »Offenbar ist Tiefenbach drei Jahre nach der Wende arbeitslos geworden und hat es nicht verkraftet, von ihr abhängig zu sein. Kinder hatten sie keine. Irgendwann haben sie sich dann getrennt, ohne Hass oder Bitterkeit.«
    »Sie glauben ihr?«
    »Ich denke doch«, sagte Rauwolf zögernd. »Sie hat mir dann noch eine Fotografie von ihm herausgesucht. Eine Aufnahme aus den letzten Jahren. Ich schicke sie Ihnen zu Ihren Händen, falls Sie es für Zeugen brauchen, die ihn gesehen haben könnten. Übrigens ist sie bereit, nach Ulm zu kommen und ihn zu identifizieren.«

    Dann sagte er, dass er am nächsten Morgen nach Bautzen fahren werde, wo eine ältere Schwester Tiefenbachs wohne. Sonst seien keine Verwandten bekannt, die Mutter Tiefenbachs sei in den 50er-Jahren gestorben, der Vater im Krieg vermisst. »Ach ja«, fügte er hinzu, »Tiefenbach ist zuletzt um den 15. Januar herum gesehen worden. Allerdings habe ich noch nicht mit allen Nachbarn sprechen können.« Und in seiner Wohnung habe er zunächst nichts Auffälliges gefunden. Ob der Kollege vielleicht selbst nach Görlitz kommen werde, um sich einen Eindruck zu verschaffen?
    Berndorf sagte, dass er das sehr gerne tun würde. Dann bat er Rauwolf, bei der Gauck-Behörde nachzufragen, ob ein Vorgang über Tiefenbach vorliege. Etwas verlegen stellte er sich vor, dass der Kollege am anderen Ende der Leitung jetzt vermutlich das Gesicht verziehen würde.
    »Haben wir schon«, sagte Rauwolf knapp. »Negativ. Kein Vorgang.«

Dienstag, 27. Januar, 11 Uhr
    Glas. Marmor. Alabasterweiße Wände. Und in der Ferne der Bodensee und das Panorama der Alpen. Elisabeth Tanner tänzelte durch den weiten, lichterfüllten Living-Room, über die Carrara-Platten und die naturfarbenen Teppiche, vorbei an dem mächtigen Eichentisch: »Einfach traumhaft, Sibylle«, sagte sie zu ihrer Freundin, die gerade dabei war, mit professioneller
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