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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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hab’. Habt ihr das verstanden?«
    »Ja«, sagte Zürn. »Wir haben es verstanden.«
    »Aber ich muss es doch melden, wenn er fehlt«, warf Maugg ein.
    »Das musst du nicht«, meinte Thalmann. »Ein paar Stunden Vorsprung brauch’ ich schon.«
    Zürn dachte an die neue Sicherheitselektronik.
    »Du kriegst den Vorsprung«, sagte er dann. »Auch wenn ich Maugg eins drüberziehen muss.«
    Maugg murmelte, er verstehe überhaupt nichts mehr.
    »Nur pro forma«, sagte Zürn beruhigend. »Damit es besser aussieht.«

Montag, 26. Januar, Ulm
    Der glatte kahle Kugelkopf des Kriminaloberrats Englin war blass vor Entrüstung, und noch weniger als sonst konnte er das Zucken des linken Augenlids unterdrücken. Im Jugendzentrum Büchsenstadel hatten die Leute vom Stadtjugendring einen Kokain-Dealer erwischt und hinausgeworfen. Anschließend hatten sie eine Pressekonferenz gegeben und erklärt, der Dealer sei ein in der ganzen Stadt bekannter Spitzel des Rauschgiftfahnders Blocher gewesen.
    Heute stand das nun alles in einem Zweispalter im »Tagblatt«, und Berndorf sah, dass Englin den ganzen Artikel, der auf dem ovalen Konferenztisch vor ihm lag, ausnahmslos gelb und rot markiert und mit Ausrufezeichen versehen hatte. Ein besonders dickes stand an der Stelle, an der es hieß: »Die Leitung des Büchsenstadels frage sich inzwischen, mit wie viel Sachverstand man im Neuen Bau eigentlich ermittle, wenn es um wirklich schwerwiegende Straftaten gehe.« Der Neue Bau mit seinen mächtigen, um einen Innenhof gruppierten Dächern ist Sitz der Ulmer Polizeidirektion.
    »Einwandfrei«, sagte Englin, »das ist einwandfrei Beleidigung. Üble Nachrede ist das. Selbstverständlich werden wir Strafanzeige erstatten. Auch gegen das Tagblatt.«
    »Warum machen wir keine Hausdurchsuchung, und zwar mit dem ganz feinen Rechen, von unten nach oben und links
nach rechts, denen werden die Augen aufgehen«, sagte Blocher und hob drohend den rechten Zeigefinger. Hausdurchsuchungen waren Blochers Spezialität.
    »So, wie ich die Tagblatt-Leute kenne, werden ihnen wirklich die Augen aufgehen«, warf Berndorf ein: »In deren Kruscht hat noch nie jemand etwas gefunden.«
    »Ich mein’ den Büchsenstadel«, murrte Blocher.
    »Ja, und dann spielt die Stadtjugend das ganze Jahr Räuber und Gendarm mit uns«, sagte Berndorf. Warum Englin nicht einfach einen freundlichen Brief schreibe, der angebliche Dealer sei der Ulmer Polizei völlig unbekannt, und sie habe auch keinerlei Grund, im Büchsenstadel zu ermitteln?
    »Kollege Berndorf«, sagte Englin mit mühsam unterdrückter Entrüstung, und sein linkes Lid zuckte zweimal, »Sie schlagen ernsthaft vor, dass wir diese – diese Ungeheuerlichkeit auf sich beruhen lassen sollen?«
    Tu was du willst, dachte Berndorf. In die Stille hinein platzte Tamar. »Vielleicht hab’ ich da was falsch verstanden – aber ist das nun ein V-Mann von uns gewesen oder nicht?«
    Blocher lehnte sich in dem hohen Stuhlrücken zurück und faltete seine dicken Hände vor dem Bauch: »Junge Kollegin, ich schätze diesen Ausdruck nicht. Überhaupt nicht. Selbstverständlich sind wir offen für eine – äh – punktuelle Zusammenarbeit. Wie man auch an der Polizeifachhochschule gelernt haben sollte, ist das gesetzlich absolut abgedeckt. Ab-so-lut.« Also doch, dachte Berndorf und warf dem Kripo-Chef einen warnenden Blick zu. Zu Berndorfs Überraschung begriff Englin: »Also wenn das so ist, sollten wir uns vielleicht doch mit dem Präsidium in Stuttgart – ja nun, abstimmen«, sagte er dann.
    Na also, dachte sich Berndorf: Ohne Absicherung nach oben riskierst du nichts. Und die Stuttgarter werden vielleicht doch noch mehr Verstand haben als der Kollege Blocher.
    Die weiteren Besprechungspunkte betrafen Routinefälle.
In der Nacht zum Montag war das Pelzgeschäft in der Herrenkellerpassage ausgeräumt worden; es sei eine professionelle Auftragsarbeit gewesen, sagte Hanisch vom Einbruchsdezernat. Am Tannenplatz hatte die Galatasaray-Gang zwei Skinheads aus dem Oberschwäbischen durchgeprügelt, und in den kommenden Wochen stand ein weiterer Transport von abgebrannten Kernbrennstäben aus dem benachbarten Atomkraftwerk Gundremmingen nach Gorleben an, man würde also die regionalen Greenpeace-Leute genauer überwachen müssen.
    Außerdem war da noch der Fall aus dem Blausteiner Steinbruch. »Bei dem Toten handelt es sich um einen Heinz Tiefenbach, 52 Jahre alt, Bahningenieur aus Görlitz, geschieden, nicht vorbestraft, nicht
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