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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans
Autoren: Ulrich Ritzel
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der Universität von Tel Aviv.«
    Die Straße bog von der Albhochfläche in ein von Fichten bestandenes, lang gestrecktes Tal hinab. Tamar steuerte den Wagen durch mehrere tückisch abschüssige Kurven, dann wurde die Strecke wieder gerade. Links vorne, an einer unbeschilderten Einfahrt, stand ein Polizeibeamter. Tamar nahm den Gang heraus und ließ den Wagen ausrollen, bis er bei dem Polizisten stehen blieb. Jetzt erkannte ihn Tamar. Es war der Hauptwachtmeister Krauß vom Polizeiposten Blaustein. Er starrte ihnen hoheitlich in den Wagen, als ob er erst prüfen müsse, ob sie Diebesgut dabei hätten oder sonstwie unbefugt wären. Dann winkte er sie herein.
    »Ach Gott, Krauß!«, sagte Tamar und fuhr – diesmal vorsichtig  – auf einen weiten Platz vor einer Felswand. Fragend schaute sie sich um.
    »Ein aufgegebener Steinbruch«, erklärte Berndorf. Vor ihnen stand ein Streifenwagen, dahinter eine Gruppe Männer in papageienhaft bunten Trainingsanzügen.
    »Haben Sie eigentlich auch so etwas an, wenn Sie abends durch die Au rennen?«, fragte Tamar. Berndorf versuchte, ihr einen Vorgesetztenblick zuzuwerfen, und stieg aus. Die Männer in den Trainingsanzügen kamen auf sie zu. Tamar stellte den Motor ab. Erst jetzt bemerkte sie, dass noch ein weiteres Fahrzeug in dem Steinbruch stand. Es war verschneit, die Fahrertür war geöffnet, und als sie neben Berndorf trat, sah sie einen Mann am Steuer sitzen.
    Tamar zögerte kurz und musterte den schneebedeckten Boden um das Auto. »Das hat keinen Sinn«, sagte Berndorf, »unsere Helden haben schon alles zertrampelt.«
    Aus der Gruppe löste sich ein zweiter Grünuniformierter und grüßte, zwei Finger der Hand lässig an den Rand der Uniformmütze gelegt, es sollte jovial-vertraulich aussehen: Ach Gott, auch noch Krauser, dachte Berndorf. Die Männer da
seien von der Leichtathletikabteilung des TSV Blaustein, erklärte Krauser und fügte so halblaut hinzu, dass es alle hören konnten: »Alle sehr vertrauenswürdig, kann die Hand dafür ins Feuer legen!«
    Was redet der da, dachte Berndorf. Unter seiner Schädeldecke meldete sich der Whisky vom Vorabend zurück.
    Jedenfalls, sagte Krauser, sei den Männern beim Waldlauf der Wagen da aufgefallen.
    »Eigentlich nicht so sehr der Wagen, sondern dass er zugeschneit war und einer drinsitzt«, mischte sich ein Mann mit gerötetem Gesicht und einem Schnauzbart ein. Er steckte in einem grün-pink gestreiften Sportanzug.
    »Es ist nämlich ein Toyota«, sagte ein zweiter. Er trug etwas, das rot-schwarz geflammt war.
    Nämlich? dachte Berndorf und spürte dem Pochen in seinem Schädel nach.
    »Und dann haben wir nachgeschaut und denken, dass der Mann, der da sitzt, tot ist«, sagte der Pinkgrüne. »Das Auto ist nämlich aus Görlitz«, erläuterte der Schwarzrotgeflammte.
    »Was hat denn das damit zu tun?«, wollte der Pinkgrüne wissen. Der andere wies stolz auf das hintere Nummernschild, von dem er den Schnee abgestreift hatte: »Da – GR, ist bitte schön Görlitz.«
    »Meine Herren, diese Ermittlungen wollen Sie dann doch bitte der Polizei überlassen«, sagte Krauser.
    Berndorf hatte sich inzwischen in den Wagen gebeugt. Ein säuerlicher Geruch schlug ihm entgegen. Der Mann auf dem Fahrersitz hing zusammengesunken über dem Lenkrad. Sein Gesicht war der Fahrertür zugewandt. Aus dem halb geöffneten Mund war Speichel ausgetreten und zwischen den Bartstoppeln angetrocknet. Der Mann hatte sich schon mehrere Tage nicht rasiert. Er schien um die 50 Jahre alt, auf den ersten Blick unauffällig, Berndorf registrierte aschblondes zurückgekämmtes Haar und eine herabgerutschte Brille. Der
Mann trug eine Stoffhose, dazu eine Art Freizeitjacke und einen Pullover mit V-Ausschnitt darunter. Er sieht tatsächlich aus, wie man sich vor ein paar Jahren einen Ossi vorgestellt hat, dachte Berndorf. Auf Pullover und Jacke fanden sich Flecken und Reste, die nach Erbrochenem aussahen, das nur nachlässig weggewischt worden war. Der Mann war tot, und das wohl schon seit einigen Stunden.
    Tamar hatte vorsichtig die Beifahrertür geöffnet. Auf dem Sitz lag eine geöffnete Thermosflasche, ein Teil der Flüssigkeit darin war ausgelaufen und hatte auf dem Plastikbezug eine dunkle Lache gebildet.
    Schnüffelnd beugte die Kriminalkommissarin ihren Nacken über die Lache. Dann blickte sie, die schmale lange Nase noch leicht gerunzelt, dem Toten ins Gesicht und musterte die verklebten Bartstoppeln. Von Berndorf war nichts zu sehen. Dafür hatten die
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