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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Edelprostituierte wie Madame Niketta niemals einen Troll in ihren Gemächern empfangen würde, oh nein! Das wäre fast, überlegte Jorge und starrte erneut auf seine künstliche Hand, als würde sich die adelige Dame mit einem Parnassusochsen aus dem fernen Gangga paaren. Sodomie! Er schüttelte traurig den Kopf. Die Leute brachten seiner Rasse noch immer die übelsten Vorurteile entgegen … obwohl der Vergleich mit dem Parnassusochsen bei genauerer Betrachtung gar nicht so weit hergeholt war.
    In einer Ecke des samtenen, duftenden Vorzimmers stand eine deckenhohe Glasröhre, gefüllt mit Wasser, auf thaumaturgischem Wege sanft violett beleuchtet. Ictopoden, neunarmige Tiefseebewohner aus dem Grünen Ozean, schwammen im Innern oder klebten an den Scheiben. Ihre fleischigen Mäuler mit der weichen, gelb-grün gepunkteten Haut erinnerten frappierend an …
    »Bei Batardos, die Dinger erinnern eindeutig an Vulvatten!« Jorge sprach so laut, dass die Vorzimmerdame, die sich wenige Schritte entfernt hinter einem elegant geschwungenen Tisch die Nägel lackierte – langes blondes Haar, bildhübsche Nase, ausgesprochen knappes Kleidchen und großzügig geschnittenes Dekolleté –, verwundert in seine Richtung blickte.
    »Entschuldigung?« Ihre Stimme war wie Butter, die auf warmem Röstbrot zerläuft. »Haben Sie Worte gesprochen?«
    Jorge nickte und schloss die Augen. »In der Tat, so ist es. Weißt du, sauschönes Kind, wir Trolle haben da sogar ein Sprichwort, und es geht so: Wenn wir Trolle sprechen, benutzen wir unter Umständen richtige Worte. Ein altes, ein weises Sprichwort.«
    Die Schönheit lächelte und entblößte makellose Zähne. In den Bordellen, in denen Jorge bisher verkehrt hatte – meist in Fogarts Pfuhl, einem üblen Viertel voller Abschaum, Schmutz und Geschlechtskrankheiten –, fehlten den Huren nicht selten einer oder mehrere Schneidezähne, zumindest aber hatten ihre Kauwerkzeuge eine ungesunde Färbung angenommen, irgendwo zwischen Braun, Gelb und Schwarz, der Albtraum eines jeden Zahnheilers. Und Vorzimmerdamen gab es dort schon gar nicht.
    Das Lächeln dieses Mädchens dagegen war strahlend weiß wie der lichte Morgen.
    »Ich gebrauchte das glückselig machende Wort ›Vulvatte‹, Herzchen«, erklärte Jorge. »Weißt du, was eine Vulvatte ist?«
    »Nun, ja. Ich glaube, eine Vulvatte …«
    »… ist das allerschönste Tier auf Lorgons weiter Flur!« Instinktiv musste Jorge an Pompom denken, eine Vulvatte, die ihm im Zuge seines letzten Falles über den Weg gelaufen war und die er kurzerhand adoptiert hatte. Seit mehreren Zeniten schon wohnte Pompom, eine prächtige Vertreterin dieser haarlosen Nagetiergattung, jetzt schon bei ihm und verschönerte sein Leben. Interessanterweise hatte er in dieser Zeit lernen müssen, dass die meisten Menschen, Eiben und sogar Trolle beim Anblick einer Vulvatte maßgeblich Ekel empfanden. Ihn dagegen hatte das Aussehen dieser possierlichen Tierchen, die auf den ersten Blick ganz und gar aus weichen, rosafarbenen Hautlappen zu bestehen schienen, von der ersten Sekunde an begeistert.
    »Weißt du, Kindchen, ich teile meine bescheidene Bleibe mit einer stolzen Vulvatte. Ihr bezaubernder Name: Pompom. Charakterstark. Eloquent. Momentan ist Pompom allerdings zur Kur bei meinem Onkel Junther. Wegen des Klimas bei mir im Fassviertel, du verstehst? Zu gesund! Pompom ist auf den Aschehalden von Torrlem groß geworden, der Stadt des Todes. Onkel Junther wohnt in Grauheym, einem Viertel voller Fabriken, Abgase und schwitzender Menschen. Sehr schlechte Luft. Genau richtig für Pompom.«
    Das Lächeln der Vorzimmerschönheit wankte nur minimal.
    »Egal, Kindchen. Sag, wie heißt du eigentlich? Ich heiße Jorge der Troll, aber das weißt du längst. Ich habe mich heute Morgen mehrmals rasiert, auch die Stirn, ich sehe doch gut aus, findest du nicht? Mir ist klar, ihr bekommt hier eher selten einen stattlichen Troll zu Gesicht, aber mal ehrlich: Ich sehe doch eigentlich gar nicht wirklich aus wie ein Troll, und …«
    Eine rauchige weibliche Stimme ertönte mitten im Raum, scheinbar aus dem Nichts kommend. Sie murmelte ein paar Worte, verzerrt von Echos, sodass Jorge nichts verstehen konnte. Das Vorzimmermädchen dagegen sprang auf – Jorge schluckte, als er gewahr wurde, wie kurz ihr hautenges Röckchen war – und kam zu ihm herüber.
    »Madame Niketta wird Sie jetzt empfangen«, säuselte sie. Ihr Lächeln stand wieder stabil und strahlend weiß in ihrem Antlitz.
    Jorge
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