Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
Vom Netzwerk:
Ankunft Madame Nikettas erwartet, jener Edelhure, von der es hieß, ihre Kunden würden bereits nach Minuten in ihrer Gegenwart vor Lust um Gnade winseln. Und zu gern hätte er die Erinnerung an den Wortwurf seines Vorgesetzten tief in eine Schublade seines Verstandes gesperrt und für all die im Vorhinein bezahlten Kaunaps einen herrlichen Abend verlebt.
    Zu gerne hätte er es nicht versaut.
    Doch leider war M.H. mit seiner fernmündlichen Order, augenblicklich im Institut zu erscheinen, keineswegs die einzige unangenehme Erinnerung des heutigen Tages, die Jorge verzweifelt zu ignorieren versuchte.
    Er hatte seinen freien Tag. Folglich hatte es ihm überhaupt nicht geschmeckt, als ihn gegen Mittag – er hatte noch im Bett gelegen und seinen Rausch vom Vorabend ausgeschlafen – ein Wortwurf von Mervynia ereilt hatte. Mervynia war die Sekretärin des Obersten IAIT-Lenkers, Geheimrat Karliban, von seinen Untergebenen gemeinhin nur »das Maul« genannt. Karliban war ein Formwechsler, er konnte sein Erscheinungsbild nach Lust und Laune verändern. Aus diesem Grund wusste niemand, wie er wirklich aussah. Gerüchten zufolge hatte er sich während eines Streits mit seinem Amtsvorgänger in eine gehörnte Riesenkröte verwandelt und diesen ohne viel Federlesens verschlungen. Nur ein Gerücht, aber Jorge wusste, dass in jedem Gerücht ein Körnchen Wahrheit steckte. Dem Maul hätte er diese Vorgängerverschling-Geschichte jedenfalls ohne Weiteres zugetraut. Der Geheimrat konnte ziemlich aufbrausend sein.
    Jorge war noch im Halbschlaf gewesen, daher hatte er nicht genau mitbekommen, was Mervynia ihm zu sagen hatte. Aus irgendeinem Grund schien sie sein Erscheinen im Institut für eine gute Sache zu halten, aber alles, was ihre körperlose Stimme sonst noch zu vermelden hatte, verpuffte ungehört in seinem Schlafgemach.
    Wenn sich ein Troll im Halbschlaf befand, war er gut im Ignorieren. Genau wie im Wachzustand. Im Verlauf des Tages hatte Jorge nur noch ein einziges Mal an Mervynias Wortwurf gedacht – nämlich als er ein paar Stunden später auch den von M.H. ignorierte und wie geplant zu seiner Verabredung mit Madame Niketta aufbrach.
    Eine grelle Lichtexplosion riss ihn unvermittelt aus seinen Erinnerungen. Wabernd erschien eine Kugel aus gleißendem Licht in der Mitte des Raumes. Es zischte ohrenbetäubend, ein Gestank nach altem Schweinekot stieg auf. Die Mädchen schrien entsetzt auf, ließen von Jorge ab und wichen in Richtung Tür zurück.
    Nebel wallte auf, ungesund gelb. Dann schälte sich eine massige Form daraus hervor. Es war ein Misthaufen, aus dem Arme und Beine ragten, dünn und lang wie die Tentakel der Ictopoden in ihren Glastanks. Zwei rote Augen blitzten zornig inmitten des Brauns.
    »Oh!« Jorge versuchte, sich umzudrehen, um die grässliche Erscheinung direkt ansehen zu können. Da er noch immer schwebte, geriet er dabei allerdings in Schräglage und fand sich plötzlich mit dem Gesicht nur wenige Fingerbreit über dem hölzernen Fußboden wieder. Er packte den Rand des Diwans und versuchte, sich wieder in eine halbwegs gerade Position zu bringen.
    Die Mädchen kreischten noch immer.
    »AGENT JORGE!«, donnerte eine apokalyptische Stimme aus Richtung des Misthaufens. »BEI BLAAKS STINKENDEM AFTERSCHLEIM, WO STECKEN SIE?«
    Jorge schluckte. »G-G-Geheimrat K.?« Eigentlich stotterte Jorge nie. Jetzt verschlug es ihm dennoch die Sprache. Wieso, bei Batardos, konnte er den Geheimrat sehen? Normalerweise transportierten Wortwürfe lediglich die Stimme des ausführenden Thaumaturgen. Weshalb das so war, hatte M.H. ihm einst ausführlich erklärt. Aber Jorge hatte es vergessen. »WAS DENKEN SIE SICH EIGENTLICH, AGENT JORGE – FALLS SIE ÜBERHAUPT ETWAS DENKEN? NENNEN SIE MIR EINEN TRIFTIGEN GRUND, WIESO ICH SIE AUFGRUND IHRER WIEDERHOLTEN PFLICHTVERGESSENHEIT NICHT AUGENBLICKLICH SUSPENDIEREN SOLLTE! WO, IN LORGONS NAMEN, TREIBEN SIE SICH HERUM?«
    Es beruhigte Jorge ein wenig, dass der Geheimrat ihn allem Anschein nach nicht sehen konnte, ähnlich wie ein normaler Wortwurf nur einseitig funktionierte und keinerlei Antworten zuließ. Dennoch bedeckte er automatisch seine Blöße mit den Händen. Vermutlich explodierte die thaumaturgische Projektion, die er gerade sah, an sämtlichen Orten, an denen der Geheimrat ihn vermutete – also in sämtlichen Bordellen und Gaststuben Nophelets gleichzeitig.
    Der Misthaufen begann zu zerschmelzen, sich zu verändern. Aus dem oberen Bereich wuchs der Kopf eines Huhns
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher