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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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den Rest der Operation abwickeln, wie es der Plan vorsah. Der brenzlige Teil war lange ausgestanden. Es konnte nichts mehr passieren.
    Durch einen kurzen Flur gelangte er in sein Studierzimmer, dessen Tür er ebenfalls hinter sich schloss. Dann trat er an ein Ölgemälde, das einen prächtigen Harschtippier bei der morgendlichen Häutung im Wald zeigte, klappte es beiseite und begann, sich am Schloss des dahinterliegenden Tresors zu schaffen zu machen.
    Stahlschränke mit Zahlenkombination waren in Barlyn weit verbreitet; kaum jemand war versessener darauf, seinen Besitz vor dem Zugriff Fremder zu schützen, als ein Zwerg. Bei diesem Modell, mochte es auch einige Jahre auf dem Buckel haben, handelte es sich um einen verlässlichen und ausgereiften Mechanismus. Bevor sein Besitzer sich jedoch daranmachen durfte, an den neun beschrifteten Rändelrädern die notwendige Ziffernfolge einzustellen, musste zunächst etwas anderes getan werden.
    Der Zwerg holte tief Luft. Konzentriert kniff er die kurzsichtigen Augen zusammen und stieß eine absurd lange Zeile aus halb geknurrten, halb gehauchten Silben hervor, einen Befehl in der Alten Sprache. Dabei vollführte er mit seinen kleinen, plumpen Händen abgehackte Gesten vor dem matt glänzenden Stahl der Tür.
    Irgendwo in den Tiefen des versiegelten Fachs ertönte ein Klicken. Die zielgerichtete Freisetzung eines Pfefferelements vierter Stufe, das einem unwissenden Dieb bleibende Narben im Gesichtsbereich sowie lebenslang verätzte Schleimhäute von Augen und Atemwegen beschert hätte, war außer Kraft gesetzt.
    Nun erst machte sich der Zwerg daran, die erforderlichen Zahlen einzustellen. Er drehte die ersten drei Rädchen, bis sie das Datum seines Geburtstags anzeigten: Jahr, Zenit und Tag. Es folgte das Datum seiner Scheidung von Vuruna; ursprünglich war es ihr Geburtstag gewesen, aber aus gegebenem Anlass hatte er die Kombination vor einigen Jahren geändert. Als Letztes folgte das Datum jenes Tages, an dem er mithilfe eines Inneren Feuers dritter Stufe die unselige Brut unter dem Herzen Kirkens, seiner damaligen Sekretärin, hatte verschmoren lassen – eine Saat, die er unvorsichtigerweise selbst ausgebracht hatte, just am Todestag von Vurunas Mutter. Selig lächelnd erinnerte er sich an Kirkens Strafversetzung in ein Stollenadministrationsbüro in der Dreißigsten, unterschrieben von niemand Geringerem als ihm selbst. Dann betätigte er das abgewetzte Drehkreuz.
    Lautlos, in gut geölten Angeln, schwang die Tresortür auf. Er fischte sein Monokel wieder aus der Tasche, hob es vors Auge und ließ seinen Blick suchend über den Inhalt des Sicherheitsschrankes schweifen. Die prall gefüllten Geldsäcke interessierten ihn momentan ebenso wenig wie die Stapel mit Wertpapieren der Barlyner Staatsbank. Stattdessen griff er nach einem unscheinbaren grauen Stoffsack, der ganz hinten, halb verborgen zwischen mehreren Barren Grobonskonit höchster Reinheit und einem alten, beinahe aufgebrauchten Hexalyt lag. Er nahm ihn und ging zurück in den Flur, wobei er die Tresortür, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, offen ließ.
    Durch eine grün gestrichene Tür mit gerundeten Ecken gelangte er ins Badezimmer. Die sanitäre Ausstattung seines Apartments hatte vor achtundzwanzig Jahren, zum Zeitpunkt seines Einzugs, dem neuesten Stand der Technik entsprochen: fließendes kaltes Wasser, eine Badewanne aus handgetriebener Petrep-Bronze sowie ein Wasserklosett, dessen mechanische Spülung jedes nur denkbare Restprodukt zwergischer Verdauung auf direktem Wege ins etliche Stockwerke tiefer gelegene Kanalnetz Barlyns wusch, wo unterirdische Flussläufe die Bescherung auf Nimmerwiedersehen davontrugen.
    Heutzutage gab es modernere Systeme, lautlos, formschön und vollständig auf Thaumaturgie basierend. Lordprotektor Hindrych höchstselbst schiss in einen der brandneuen Doppelvakuum-Saugstutzen mit selbsttätiger Reinigung und sprachgesteuerter Geruchskompensation – modernster Luxus, der aus Metropolen wie Nophelet importiert wurde und ein Heidengeld kostete.
    Der Zwerg grinste. Fraglos hätte auch er sich einen thaumaturgisch betriebenen Exkrementbeseitiger leisten können, und ebenso fraglos hätte es angesichts der Position, die er innerhalb der Hierarchie Barlyns bekleidete, niemanden gewundert, wenn er etwas Derartiges verlangt hätte. Dennoch war er in diesem Augenblick glücklich, dass er sich nie dazu hatte hinreißen lassen. Bei aller Bequemlichkeit, die solche Apparaturen bieten
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