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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Onyx zu, der sonderbar deplatziert mitten im Gewölbe stand. »Geheimrat K. ist stocksauer, weil du …« Er hielt inne, verengte die Augen und schnüffelte mit gerümpfter Nase in der Luft. »Sag mal, bist du das, der hier so abartig riecht?«
    »Oh, ich freue mich auch, dich zu sehen, M.H.« Jorge blinzelte jovial. »Und was die himmlischen Düfte angeht, mit denen ich das Maul und dich heute beglücke, so besagt ein altes Trollsprichwort, dass …«
    Ein tierhafter Laut schnitt ihm das Wort ab, rau und feucht zugleich, wie das Brüllen eines Löwenbärs mit hoffnungslos verschleimten Bronchien. Jorge hob den Kopf und spähte mit unverhohlenem Unbehagen in Richtung des schwarzen Schreibtischs, genauer: in den Bereich konzentrierten Dämmerschattens, der jenseits des steinernen Möbels lag.
    »Das Maul ist also … äh … sauer?«, vergewisserte er sich kaum hörbar, während er sich von Hippolit vorwärtsziehen ließ.
    Hippolit nickte unmerklich. »Ich bin schon seit zwei Stunden hier, und ich kann dir sagen: Es waren die unangenehmsten zwei Stunden in meinem an unangenehmen Stunden nicht armen Leben!«
    Jorge prustete leise. »Schön gesagt. Das könnte glatt ein altes …« Er verstummte, diesmal ohne Unterbrechung von außen. Sie waren vor dem immensen Schreibtisch angelangt.
    Auf der anderen Seite, in einem Zwielicht, das die Glutglobuli am Eingang längst nicht mehr durchbrachen, waren fließende Bewegungen zu erahnen – geschmeidige, schlangenhafte Bewegungen, die darauf hindeuteten, dass ihr Verursacher über zahlreichere und seltsamer geformte Extremitäten verfügte, als es der geistigen Gesundheit eines unbedarften Beobachters zuträglich war.
    Jorge und Hippolit indes waren keine unbedarften Beobachter. Auch wenn keiner von sich behaupten konnte, Geheimrat Karliban je bei Tageslicht gesehen zu haben (genau genommen wusste niemand, ob Geheimrat Karliban je bei Tag das Institut verließ), waren sie beide, wie jeder Beamte ihres Instituts, über die polymorphen Fähigkeiten ihres Vorgesetzten im Bilde. Vermutlich konnte der Geheimrat mit seiner gestaltwandlerischen Gabe sogar ein annähernd menschliches Aussehen annehmen, ein Gedanke, bei dem sich Hippolit immer dann ertappte, wenn er in den weitläufigen Korridoren des IAIT auf Personen stieß, die er nicht kannte und die ihn sonderbar anstarrten. Da im Grunde jedoch fast jeder einen halbwüchsigen Albino misstrauisch beäugte, der im Sicherheitsbereich eines kriminologischen Instituts ein und aus ging, ließ dies wenig verwertbare Rückschlüsse darauf zu, ob Geheimrat Karliban zuweilen in menschlicher Gestalt durch das Gebäude wandelte oder nicht.
    In seinem Domizil tief unter der Erde zumindest zog der Oberste Lenker, soweit man dies in den unzureichenden Lichtverhältnissen beurteilen konnte, Erscheinungsformen vor, die seiner jeweiligen Gemütsverfassung entsprachen. Und um Letztere stand es heute nicht zum Besten.
    »Agent Jorge!«, donnerte prompt eine Stimme, die klang, als versuchte jemand durch eine dicke Schlammschicht zu brüllen. »Wie überaus erfreulich, dass Sie es einrichten konnten, doch noch zu erscheinen. Wir fürchteten bereits, Sie könnten sich entschließen, uns die Gnade Ihrer Anwesenheit zu versagen.«
    Jorge, dem die Ironie in der Stimme des Geheimrats wie üblich entging, schüttelte wild den Kopf. »Ist doch selbstverständlich, Chef. Ich meine, es ist schließlich unser Job zu kommen, wenn wir gebraucht werden … das heißt, vom Institut gebraucht, also nicht von irgendeinem Großmütterchen, das irgendwo in Glattberg über die Straße gebracht werden will, dafür gibt es schließlich Glaxiko und seine Jungens, die sind sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen, diese Witzfiguren. Ein altes Trollsprichwort bekundet ganz richtig …«
    Neben ihm versuchte Hippolit mit verzweifelten Gesten, ihn zum Verstummen zu bringen.
    »Dürfte ich wohl erfahren, was Sie bewogen hat, einen Wortwurf von unmissverständlicher Dringlichkeit aus unserem Sekretariat zu ignorieren?«, erkundigte sich die brodelnde Stimme aus dem Schatten. Der Geheimrat sprach jetzt auffallend leise, was seinen Worten etwas Lauerndes verlieh – umso mehr, wenn man einmal miterlebt hatte, zu welchen brachialen Lautäußerungen er in manchen seiner Inkarnationen fähig war.
    »Ich … also, wie soll ich sagen?« Jorge wischte sich mit seiner künstlichen Hand Schweißperlen von der rasierten Stirn. »Ich war sozusagen gerade auf einer extrem heißen Spur und
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