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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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Robert und den Kampf in Berlin hielt sich in ihm, und er stellte sich vor, in einem der besetzten Häuser auf einer Matratze im Staub unterzugehen, in einem grauen Staubmeer, sich um nichts mehr kümmern zu müssen, bis endlich klar würde, daß er ohnehin nichts mit alledem zu tun hatte, daß er völlig allein war und Menschen, sofern sie auftauchten, Gebilde seiner Phantasie waren und nichts weiter. Was er brauchte, war Weite, denn in der engen Stadt, in den Gassen seiner kurzen Vergangenheit zwischen der Wohnung seiner Eltern und der von Greta, war keine Atemluft mehr für ihn übrig.
    Sein Körper war kalt, und Johann betrachtete oft das weiße Fleisch und dachte es sich durchlöchert, verletzt, vernachlässigt. Sein Körper war nicht sein Feind, aber er war genauso weit entfernt wie alles andere, ein Objekt, das manso oder so behandeln konnte, um zu sehen, wie es darauf reagierte.
    Johann gab sich ein Jahr lang Zeit, um das Geld zu beschaffen, das er wollte. Er würde versuchen, bei Robert zu übernachten und zu beobachten, wie ein Mensch lebte, der den ganzen Tag einem Ideal folgte. Er konnte sich Robert kaum mehr vorstellen, glaubte aber sich zu erinnern, er sei sympathisch gewesen.
     
    Johann kam mittags mit dem Zug in Berlin an. Zigarettenschmuggler folgten den Reisenden die Treppe hinab in das uringelbe Licht der Bahnhofshalle. Johann mußte stehenbleiben, um den Strom Kofferbepackter vorbeizulassen, der hinauf zum Abreisebahnsteig flutete. Draußen strudelte der Verkehr im Häuserriff. Die Menschen bildeten seltsame Muster, wie sie um die Ampeln zusammengesogen und wieder in alle Richtungen ausgespuckt wurden. Der blaue Stahl des Himmels schnitt weite Zacken in die Häuserfront, die gestern eingestürzt war und deren Bruchstücke man heute in aller Eile wieder kreuz und quer aufgestellt hatte, um den Schein zu wahren.
    Am Ausgang eines Kaufhauses rotierte ein Drehgestell mit Sonnenbrillen. Johann zog eine schwarzverspiegelte heraus und setzte sie auf. Er sah nichts mehr. Er ging weiter. Er hörte Musik: New York, New York. Er zog die Brille ab und sah drei Türkenjungen, die vor dem Schaufenster breakten. Der Lärm schlug von der Glaswand zurück. Sie trugen Baseballmützen, die ihnen zu groß waren, und hatten dunklen Flaum auf der Oberlippe. Gegenüber verkaufte ein alter Mann in weißer Schürze Laugenbrezeln aus einem Korb. Er fluchte über den Lärm. Johann kaufte dem Alten eine trockene Brezel ab und setzte einem der Jungen die Sonnenbrille unter die Kappe.
    Die U-Bahn rumpelte ans Tageslicht und segelte übergraue Wogen aus Stein, Schrott, rostigem Blech und Moos. Gleisdreieck. Das ist eine Stadt, dachte Johann. Er blickte aus dem Fenster durch den schwachen Schemen seines Spiegelbildes hindurch. Sie hörte nirgendwo auf.
    Die Kreuzung Kottbusser Tor war von hohen Zinnen ummauert, deren Schießscharten nach innen zeigten. Eine Festung, die sich selbst belagerte. Der Platz war voller Menschen, und die Treppen vom U-Bahnschacht stiegen noch mehr empor. Orangefarben leuchtende Haarkämme waren Helmbüsche, Stahlketten klirrten auf Rüstungen   – Troja wartete auf die Ankunft frischer Helden, aber da die Burg sich selbst bekämpfte, mußten es Selbstmörder oder eine Versammlung von Narren sein, die die genieteten Eisentreppen von der Linie Eins herabstiegen. Johann sah Polizeimannschaftswagen rund um den Platz, überall hingen Bettlaken, die als Transparente dienten, auf die Mauern waren Aufrufe gesprüht. Gruppen mischten und trennten sich, wuchsen an und fielen auseinander. Rote Haarkämme leuchteten wie Flammen oder Fahnen aus der Menge. Grauhaarige mit Bärten und Sandalen diskutierten. Glas zerklirrte, Bierbüchsen schepperten über den Boden. Das Stimmengeraune schwoll an, wogte über die Köpfe und verebbte. Vor den Mannschaftswagen drängten sich behelmte Polizisten mit Plexiglasschildern. Uniformierte patrouillierten in Dreiergruppen durch die Menge und verlangten Papiere. Zivilpolizisten in Leder spähten mit starren Schützenaugen Verdächtiges aus. Aus einem Lautsprecher krähte eine Stimme, die der Wind zwischen den Mauern zerhackte. Es war warm geworden, inmitten der Menge war es heiß. Die Mannschaftswagen standen an allen Ausgängen. Über den Häusern kreiste der Hubschrauber, der ihren Einsatz dirigierte. Passanten übergaben den Polizisten ihre Einkaufstüten zur Kontrolle. Die Luft spannte sich über der Menge, die unruhig wurde, das Kriegsgefühl der Erwartung stieg an,
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