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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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derSirenenton im Schweigen wurde schrill, der Raum zwischen den Demonstranten verdichtete sich.
    Johann streifte über den Platz an den einzelnen Gruppen vorbei, als er einen Mann entdeckte, der auf Brust und Rücken ein Schild mit der Aufschrift: Befreiung GmbH trug. Johann ging auf ihn zu und fragte, worum das Ganze gehe.
    Sie haben das Kuckuck geräumt, heute zwischen Nacht und Morgengrauen.
    Johann erinnerte sich. Robert hatte vom Kuckuck gesprochen. Er besaß ein Zweitbett dort, um stets direkt an der Bewegung dran zu sein, hatte er gesagt. Es mußte etwas Besonderes gewesen sein.
    Und du, was suchst du hier? fragte der andere.
    Ich   ... ich bin hier   ... weil es interessant ist. Ich möchte mir gern die Demonstration ansehen.
    Der andere lächelte. Was sagt man denn im Westen zu der ganzen Geschichte? Daß sie die letzten großen Besetzerzentren räumen.
    Johann zuckte die Achseln. Ich weiß es nicht.
    Hast du mitbekommen, wie das hier abläuft?
    Kaum, sagte Johann. Aber es wird ja wohl eine Schlacht werden, nehme ich an.
    Ja, was glaubst du denn, warum hier alle so gut gelaunt sind? Nichts davon. Gar nichts wird passieren.
    Johann dachte an Robert und an die Geschichten, die er gehört hatte von den Kämpfen, den Attacken, den Rückzügen, den Triumphen, den Niederlagen, den Desastern, den Verlusten, den Neuanfängen, dem Spaß am Kampf. Er erinnerte sich, daß Robert erzählt hatte, wie er mit der Mannschaft des Kuckuck sonntags mittags in einem Park Fußball spielte. Jetzt hatte man ihnen das letzte Haus geschlossen, das letzte Symbol genommen. Und das alles sollte keinen Krieg wert sein?
    Gar nichts wird geschehen, sagte der Mann von der BefreiungGmbH.   Wenn heute nacht geräumt wurde, ist doch klar, daß heute demonstriert wird. Man hat sich darauf einrichten können. In so einem Fall arbeiten selbst Beamte nachts, im Gegensatz zu uns. Es wird keine Überraschungen geben. Für uns hier ist es schon ausreichend, überhaupt zu demonstrieren. Wir sind immer drei Schritte hinterher. Wir schreien immer erst, wenn sicher ist, daß alles schon versteinert ist. Man kennt uns mittlerweile und läßt uns den Raum für ein wenig Anarchie. Diese Demonstration hier hätte gestern stattfinden müssen, nein, was sage ich, vor zwei, drei Jahren schon, aber das Problem ist eben, wir sind alle Mittelklasse, ja, ja, wir riechen nach Einbauküche, auch wenn wir uns noch immer gern mit Straße, Leder, Kampf, Solidarität und Rebellion parfümieren. Siehst du, ich hab hier meinen kleinen Betrieb aufgemacht. Ich helfe jedem, der sich befreien will, mit guten Vorsätzen. Es besteht ja ein echter Bedarf, und ich hab mir ein ordentliches Geschäft ausgerechnet, aber irgendwas scheint an meiner Kalkulation nicht zu stimmen. Immerhin, wenn ich uns hier nicht sonderlich ernst nehme, ist das ein Zeichen von tiefer Zuneigung, versteh mich nicht falsch. Die anderen stehn gar nicht auf meiner Liste, da ist’s schon hoffnungslos.
    Ich glaube, es geht los. Nun, wir werden ja sehen, was passiert.
    Die Kolonne setzte sich in Bewegung. Seitenstraßen waren von Mannschaftswagen abgesperrt. Die Menschen füllten bunt und laut die Schlucht zwischen den alten Backsteinmauern. Eingekesselt und umringt von bewaffneter, behelmter Polizei, vor dem absurden Geheimnis metallener Gewehrläufe, verwandelten sie sich, sichernd, die Augen überall, in eine steinzeitliche Jagdgemeinschaft, wurden, im Bewußtsein der latenten Gefahr, zu einem einzigen Körper. Johann, der mit seinem Begleiter von der Befreiung GmbH etwas nebenher und vorneweg ging, blickte auf das farbigeHeer, das vorwärts marschierte. Die Häuserfront riß ab, Nachkriegsmietshäuser standen auf Rasenstücken in der ausgebombten planierten Weite, und plötzlich erschien rechts zwischen zwei Blöcken, eine vergessene Kulisse, ein Stück graue Mauer. Die Nachmittagssonne löste den milchigen Film auf, der den Himmel verschmierte, und die Gebäude warfen lange Schatten, die den Asphalt schraffierten und das Brachland in geometrische Muster teilten. Johann gefiel der Anblick und der Geruch von Sommer in dem farbigen marschierenden Zug, und er stieß seinen Begleiter an. Der nickte und machte eine Geste des Fotografierens. Die Vorhut der Prozession bildete ein Mannschaftswagen der Polizei, der langsam rollte. Die Hecktür war offen, und auf der Ladefläche hockten drei Polizisten, die die Spitze des Zuges im Auge behielten. Diese bestand aus einer Gruppe Schwarzgekleideter, die tänzelnd
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