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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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durch die Polizei kanalisierten vorschriftsmäßigen Weg zu folgen! Der ganze Zug riß auf, rannte übers Gras, die Polizisten rannten mit, alles versank in Johlen, Pfeifen und Schreien; Johann blickte sich um und sah die Menschen auf sich zukommen, er wurde ein paarmal angeschrien, weil er allen im Weg war. Ein Polizistrannte mit zusammengebissenen Zähnen inmitten der Menge an ihm vorbei, der Helm wackelte auf seinem Kopf, der Schild klapperte, er wurde überholt, sein rotes Gesicht im Massenspurt eines Volkslaufs.
    Jedermann, Polizisten wie Demonstranten, ließ sich anstecken von dem, was wie eine unerhörte Veränderung der Lage wirkte, die Beamten, die es besser wissen mußten, brüllten nach Verstärkung, die Demonstranten heulten Triumph, obwohl gar nichts geschehen war: Der Hubschrauber, der verwirrt über dem Gewimmel kreiste, konnte sehen, daß fünfzig der Demonstranten vor dem Polizeiwagen auf die letzte Gerade kamen, die zu dem geräumten Block führte. Aber auch hier waren alle Seitenwege abgesperrt, das geräumte Kuckuck war von mehreren Hundertschaften gesichert und umstellt, die die außer Atem Ankommenden durch einen schmalen Korridor auf den Platz vor dem Haus schleusten. Kein Schuß war gefallen, keine Auseinandersetzung nötig.
    Johann rannte inmitten der Menge an dem Schilderwall vorbei, der die Seiten sicherte, hinter der entfesselten Vorhut und dem verfolgenden Polizeiwagen her. Wo laufe ich denn eigentlich hin? fragte er sich. Er blieb unschlüssig stehen, da rempelte ihn eine dicke Frau mit roten Wangen an, die in ihrer Verblendung, das Chaos im Pferch für den entscheidenden Ausbruch zu halten, nicht auf den Weg sah. Sie blickte Johann böse an und lief weiter. Die ganze gespannte Würde der Demonstration zerfiel im Gewühl rennender Kinder, rallyefahrender Polizeiwagen und in Indianergeheul. Ein Junge und ein Mädchen in zerrissenem Schwarz hatten sich beim Laufen an den Händen gefaßt, sie stolperte, er bückte sich zu ihr, half ihr auf, strich ihr zerzaustes Haar zurecht, deckte ihren Körper mit seinem, warf einen Stein nach einem vorbeiklappernden Polizisten, sie sah ihn stolz an, dann verschwanden sie wieder Arm in Arm in der ausgelassenen Masse.
    Johann trat zur Seite, der größte Teil der Leute hatte ihn passiert. Er erkannte, daß die ganze Rennerei nichts geändert hatte, der kleine Ausbruch half beiden Seiten ein wenig, die Verwirrung echter Auseinandersetzung vorzutäuschen, die schon lange nicht mehr stattfand.
    Johann sah sich unter den Demonstranten um. Wo waren die Heerführer, die einen Flankenangriff gewagt, eine andere Route erzwungen hätten, die ausgebrochen wären? Wo war der Stolz, nicht an einer Kundgebung teilzunehmen, die im Einvernehmen mit der Polizei festgelegt worden war? Wogegen stand eine solche Demonstration überhaupt noch? Nein, das war kein Krieg, das war Indianerspiel unter der Leitung geübter Animateure, das war Bewegungstherapie für Stadtkinder, nichts geschah, gar nichts, und Johann winkte kopfschüttelnd ab. Laßt gut sein.
    Außer Atem und glücklich fand sich vor dem Gebäude alles wieder zusammen. Auch die Polizei hatte sich beruhigt und den Platz in weiträumiger Ordnung umstellt. Johann stand vor dem ehemaligen Kuckuck. Der Häuserblock, der schwarz gegen den violetten Himmel ragte, war mit einem Bretterzaun und Rollen von Natodraht abgesperrt. Das alte Gemäuer mit den zerbrochenen Scheiben sah nicht so aus, als habe irgendwann jemand darin gelebt, aber die Menschen verharrten schweigend auf dem Platz und starrten hilflos dagegen.
    Nachdem einige Jungen versucht hatten, den Stacheldraht zu überwinden, und zurückgeholt worden waren, entspannte sich die Lage. Die Punks auf den Bauwagen machten zwar noch Krach, aber alle anderen hatten zu reden begonnen. Freunde fanden einander, Kämpfer erinnerten sich, Paare fielen sich wie am Abend einer Schlacht glücklich und gesund in die Arme, ein Lagerfeuer wurde angezündet, und barfüßige Mädchen wärmten ihre Beine. Adhoc-Komitees beratschlagten die Zukunft, eine Abordnung diskutierte mitder Polizei, die es sich auf ihren Mannschaftswagen gemütlich gemacht hatte, und einsame Wölfe blickten auf den Stacheldraht und träumten davon, ihn zu übersteigen, das Haus von neuem zu besetzen, und alles wäre so wie zuvor. Man war unter sich mit seiner wieder einmal gerechtfertigten Vergangenheit.
    Als es dunkel wurde, saßen die meisten friedlich um das Feuer. Johann dachte an Robert und sah hinauf zu
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