Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
den Rand derBierdose hinweg, deren restlichen Inhalt sie mit einem Zug trank. So! sagte sie.
    Sie verließen den Imbiß, den Geruch nach fettigem gewürztem Fleisch. Die Nacht war seidig und kühl, und Johann erkannte die Straße wieder. Das Neonlicht im dritten Stock erleuchtete noch immer hoffnungsvoll den dunklen Innenhof. Das ist lächerlich, sagte Johann. Stromvergeudung.
    Wir sind nicht im Krieg.
    Was soll das, die Nacht ist nun mal dunkel.
    Gewiß, aber trotzdem läßt jeder das Licht an. Es brennt die ganze Nacht.
    Der große Raum lag still im feinen Summen der Neonröhre. Es ist gut, daß alles so leer ist, sagte Johann.
    Verdreckt ist es, sagte Barbara. Komm, wir gehn in mein Zimmer.
    Barbaras Zimmer war voll. Bücher, Aktenordner und Zeitungen füllten Regale, lagen zwischen Zettelkästen und Briefen auf dem Schreibtisch, mit Lesezeichen versehen hinter dem Bett. Kleider, Tücher und Schals hingen über Bügeln an der Wand. Auf dem weißen Mauerabsatz unter der Fensterfront standen Kerzen in bronzenen Haltern. Nylons schlängelten sich auf einem Perser vom Flohmarkt. In einer Ecke versteckten sich Cremes, Lippenstift und Kajal auf dem Boden. Um die Lampe war ein rotes Tuch gehüllt, das das Licht wärmte.
    Johann sah aus dem Fenster. Schwach und unklar erkannte er eine menschliche Silhouette und geisterhaft durchsichtig das Zimmer. Er stand auf, um hinauszublicken. Da waren schwarze unbeleuchtete Fenster jenseits des Hofes und dunkle Mauern. Darüber der betrügerisch schimmernde Himmel, in dem Flugzeuge Sterne imitierten und Satelliten Kometen. Nein, es war ein bedeckter Nachthimmel ohne Flugzeuge und Sterne, mit dem helleren Dunkel der Wolken vor der wirklichen Schwärze.
    Da waren Mauern mit Fenstern in einer gewissen Ordnung.
    Da war unten der Asphalt mit schwarzen Ölflecken. Da parkten Autos. Da hörte er weit entfernt einen Lastwagen. Ansonsten war es still, und nichts bewegte sich. Doch, wenn er sich konzentrierte, sah er, daß die Zweige des dünnen Baumes sich schwach rührten und die Dunkelheit nicht einheitlich war, dort, wo die Blätter flackerten. Das Leben war versiegt, aber all die Willkür, die es geschaffen hatte, in Häusern mit Fenstern, in Ölflecken auf dem Asphalt, in absterbenden Bäumen und Geräuschen, die zu etwas gehörten und etwas anzeigten, ohne deutlich zu machen, was, die Abdrücke waren da und blieben und blieben.
    Dann geschah etwas Seltsames: Die Frau, Barbara, umfaßte ihn von hinten und sprach ihn an. Ihre dunkle Stimme an seinem Ohr tat wohl, aber er schämte sich. Er schämte sich der Worte, die er hörte, Worte, die er kannte, sicher kannte er sie, aus dem Fernsehen, aus Büchern, er wußte, daß sie nicht mehr galten, es war ihm unangenehm, sie zu hören, es war ihm peinlich, daß die Frau sie in sein Ohr sprach, daß jeder Zynismus aus ihrer Stimme geschwunden war, als sie diese Worte flüsterte. Ihr Atem an seinem Ohr war warm, er schüttelte den Kopf, ihre Arme bewahrten ihn davor, sich aufzulösen. Die vielen Dinge im Zimmer waren noch willkürlicher als alles draußen, und jemand hatte das so zusammengestellt, hatte sich damit beschäftigt, Dinge zu verändern, die irgend etwas bedeuteten, Details, die das Auge ermüdeten.
    Jetzt sah sie ihn an. Sie lächelte.
    Gefällt dir nicht, was ich sage?
    Er schüttelte den Kopf.
    Verzeih, ich weiß keine anderen Worte.
    Ein menschliches Auge konnte so groß sein wie das einer Riesenkrake, wenn man direkt hineinschwamm.
    Er hatte es nicht mehr tun wollen, es gehörte zu den alten Sachen, deren Sinn ihm abhanden gekommen war.
    Jetzt berührte sie ihn. Er hatte es nicht mehr tun wollen, aber er konnte es genausogut tun wie alles andere, das man tun konnte und deshalb tat. Ist das gut?
    Ja, sagte er.
    Ja?
    Ja.
    Gefällt dir das?
    Ja.
    Ja?
    Johann schluckte und nickte.
    Also komm, sagte sie.
    Die weiße Wand teilte sich in Licht und Schatten wie Meer und Land. Wellen fluteten in der Sonne auf weißen Strand. Da waren Hunderte von Punkten, Poren; Fischerboote, die hinausruderten. Nein, es war eine gemauerte, ebene, weißlackierte Wand. Ihre parallelen Kanten liefen aufeinander zu. Staubtrübe Spiegel waren holzgerahmte Thermopanescheiben. Die Wand war weiß und kühl und gerade und ruhig. Die Wand atmete ein und aus, und die Fischerboote tanzten in die Wellentäler und rauschten aus der Sonne in den Schatten. Die Wand öffnete sich und schaukelte und wurde dunkel und wieder hell. Dann zeichnete sich die feine Maserung des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher