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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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gut damit? fragte Johann.
    Keinen Pfennig.
    Nein, ich meine, mit der anderen, die du fürs Geld machst.
    Ach so, ja, na ja, zum Leben reichts. Aber ich bin noch nicht so lange hier. Es wird. Langsam wird’s was. Interessierst du dich für Musik?
    Kommt drauf an.
    Bist du länger hier?
    Johann zuckte die Achseln.
    Warum ziehst du hier nicht ein? Wenn du Geld hast.
    Johann machte eine vage Bewegung.
    Warum nicht. Wo wohnst du?
    In diesem Zimmer da, glaube ich. Ich bin mir aber nicht sicher.
    Johann lachte. Ich fange an, mich hier wohl zu fühlen.
    Vielleicht willst du ja irgendwann mal was hören.
    Johann nickte.
    Ich geh schlafen. Ich bin nicht mehr sehr frisch.
    Gute Nacht, sagte Johann.
    Ja, bis dann. Ich steh nicht sehr früh auf.
    Gute Nacht, sagte Johann.
    Gute Nacht.
    Als die Wolkendecke hell wurde, in der halben Stunde, bevor der Verkehr beginnt, wenn die Vögel einen ohrenbetäubenden Lärm machen und die Aussicht so grobkörnig ist wie in einem alten Schwarzweißfilm, ging Johann schlafen. Kurz darauf klingelte der Wecker, der Barbara zur Arbeit rief.

II
    Es war die Verheißung des großen Raumes, die Johann bleiben ließ. Der Raum war größer als die ganze eng und dunkel gewundene Stadt, aus der er kam, und draußen unter dem blauen Stahlsegel des Himmels schwammen die Dächer Berlins in der Sonne, und ein leises Brummen drang herein, das Verkehrslärm, Wind und Menschenstimmen vereinigte, und die AF N-Musik aus dem Radio auf dem Küchenbord sang von alten Verwandtschaften und traumartigen Sehnsüchten, deren rote Glasperlen über den sonnenbeschienenen Zementboden rollten.
    Es war genug, dort zu sitzen, am Nachmittag, wenn die Fenster die Wände in Licht- und Schattenfelder teilten, am Abend, wenn der hell flimmernde Saal still der gegen die Mauern drückenden Dunkelheit trotzte. Alles nahm dieser Raum auf, und alles konnte in ihm geschehen. Johann erkannte, daß die Bewohner sich vor seiner aufnahmebereiten Weite in die Sicherheit ihrer Zimmer flüchteten, und selbst Barbara verschwand mit ihm lieber schnell in ihrer rötlichen warmen Höhle.
    Tagsüber gehörte der Raum Johann. Die ungenützte Tiefe konnte durchmessen und betrachtet werden; wenn er an einem Ende stand und die Augen zusammenkniff, hatte er einen Horizont; er diente zu nichts, er wurde vernachlässigt, er war nur ein Kubus voller Atemluft, der sich selbst genügte und sich weder seiner Leere schämte noch seiner völligen Neutralität, er kannte keine Vergangenheit, noch Zukunftoder Gegenwart, und er machte sich nichts daraus. Was hätten andere Menschen als die, die hier lebten, nicht aus diesem Zimmer gemacht, es eingerichtet, gesäubert, gestrichen, geschmückt, bestückt, zerteilt, zerschnitten; hier blieb der Raum leer, vierzehn hallende Schritte vom Eingang bis zum Flur, der zu den hinteren Zimmern führte; leer war der Raum, weit und leer und hell, ständig hell, und Johann konnte seine Gedanken hineinwerfen, und die Wände waren zu weit entfernt, um ein Echo zurückzusenden, und hier saß er den Tag nach seiner Ankunft in der Sonne und wartete darauf, daß Barbara aus der Redaktion zurückkam. Es war nicht nötig, etwas zu tun, es war unnötig in diesem Raum.
    Während er den Tag dort verbrachte, lernte er die Bewohner der Etage kennen. Sie unterschieden sich in der Uhrzeit, zu der sie, wie Krabben aus ihren Löchern, aus ihren Zimmern kamen und in dem großen Raum auftauchten, darin, mit welcher Form freundlicher Gleichgültigkeit sie Johann zur Kenntnis nahmen, und was sie zum Frühstück aßen. Der erste war Wolfgang, ein gutaussehender Werbemann mit Hornbrille, der auf dem Weg in seine Agentur einen schwarzen Kaffee kippte und zwei Nutellabrote aß. Dann Maria mit vom Schlaf verschwollenen Augen, die nichts herunterbrachte und sich eine Zigarette lang mit Johann unterhielt, um wach zu werden, bevor sie in die Innenstadt fuhr, wo sie in einem Kino jobbte.
    Da war Daniela, eine 20jährige Sängerin, Tochter einer Arbeiterin aus dem Wedding und eines amerikanischen Soldaten, die einzige Berlinerin in der Wohnung. Sie spielte mit einer Negercombo in Joes Bierhaus und wartete auf den Durchbruch. Sie hatte für 5000   Mark einen Libanesen geheiratet, der alle Vierteljahre vorbeikam und Unterschriften für irgendein Papier benötigte, und am Monatsende ging sie peepen, dennoch reichte es nie für die Miete, und sie ließ sich das Geld seit Monaten von Wolfgang vorstrecken. Siewar blond, hatte große Brüste und dicke Lippen, und
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