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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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ist nicht verharscht, so dass Jasim bis zu den Knien einsinkt. Er hakt die Taschenlampe los und leuchtet die beiden Gleise ab. Fredrik rutscht auf dem Bahndamm ab, steigt dann aber weiter hoch.
    »Welches Tier hat mitten auf dem Rücken ein zusätzliches Arschloch?«, fragt Jasim.
    »Keine Ahnung«, murmelt Fredrik.
    Es ist so viel Schnee in der Luft, dass sie das Licht der Taschenlampen ihrer Kollegen auf der anderen Seite der Brücke nicht ausmachen können.
    »Ein Polizeipferd«, gibt Jasim sich selbst die Antwort.
    »Was zum Teufel …«
    »Den hat meine Schwiegermutter immer ihren Kindern erzählt«, sagt er lächelnd und geht auf die Brücke hinaus.
    Es gibt keine Fußspuren im Schnee. Der Mann befindet sich entweder noch auf der Brücke, oder er ist gesprungen. Es sirrt eigentümlich in den Oberleitungen. Die Erde unter ihnen fällt steil ab.
    Durch den Schneedunst sieht man die Lichter des nahegelegenen Gefängnisses Hall, sie leuchten wie eine Unterwasserstadt.
    Fredrik versucht, Kontakt zu den Kollegen zu bekommen, aber in seinem Funkgerät rauscht es nur.
    Vorsichtig bewegen sie sich weiter auf die Brücke hinaus. Fredrik geht mit einer Taschenlampe in der Hand hinter Jasim, der sieht, wie sich sein Schatten seltsam, von Seite zu Seite schwankend, über den Boden bewegt.
    Es ist merkwürdig, dass die Kollegen am anderen Ende der Brücke nicht zu sehen sind.
    Als sie sich über dem Wasser befinden, weht vom Meer kommend ein kräftiger Wind. Schnee wird ihnen in die Augen getrieben und ihre Wangen werden von der Kälte ganz taub.    
    Jasim sucht mit zusammengekniffenen Augen die Brücke ab. Sie verschwindet in wirbelnder Dunkelheit. Plötzlich fällt ihm am Rande des Lichtkegels seiner Lampe etwas auf. Ein großes Strichmännchen ohne Kopf.
    Jasim rutscht aus, greift mit der Hand tastend nach dem flachen Geländer und sieht Schnee fünfzig Meter tief aufs Eis fallen.
    Seine Taschenlampe schlägt gegen etwas und erlischt.
    Sein Herz pocht, und er sucht blinzelnd die Brücke vor sich ab, kann die Gestalt aber nicht mehr sehen.
    Hinter ihm ruft Fredrik etwas, und er dreht sich zu ihm um. Der Kollege zeigt auf ihn, aber seine Worte sind nicht zu verstehen. Fredrik wirkt ängstlich und fasst nervös tastend an sein Pistolenhalfter. Jasim weiß, dass Fredrik versucht, ihn zu warnen, dass er auf etwas in seinem Rücken gezeigt hat.
    Er dreht sich um und schnappt erschrocken nach Luft.
    Auf dem Gleis kriecht ein Mensch auf ihn zu. Jasim weicht zurück und versucht, seine Pistole zu ziehen. Die Gestalt richtet sich auf und wankt. Es ist ein junger Mann. Er starrt die Polizisten mit leerem Blick an. Sein bärtiges Gesicht ist hager, und die Wangenknochen sind spitz. Er taumelt, das Atmen scheint ihm schwerzufallen.
    »Meine andere Hälfte ist noch unter der Erde«, sagt er keuchend.
    »Sind Sie verletzt?«
    »Wer?«
    Der junge Mann hustet und fällt wieder auf die Knie.
    »Was sagt er?«, fragt Fredrik, der eine Hand auf seine Dienstpistole im Halfter gelegt hat.
    »Sind Sie irgendwo verletzt?«, erkundigt sich Jasim noch einmal.
    »Ich weiß nicht, ich spüre nichts, ich …«
    »Kommen Sie bitte mit.«
    Jasim hilft dem Mann auf die Beine und sieht dabei, dass seine rechte Hand von rotem Eis bedeckt ist.
    »Ich bin nur halb … der Sandmann hat … er hat die andere Hälfte …«

14
    Die Türen der Krankenwageneinfahrt des Söder-Krankenhauses schließen sich. Eine Schwester mit roten Wangen hilft den Rettungssanitätern, die Trage auszuklappen und sie in die Ambulanz zu rollen.
    »Wir haben keine Papiere bei ihm gefunden, nichts …«
    Der Patient wird der Ambulanzschwester übergeben und in einen Behandlungsraum gebracht.
    Nachdem sie die Vitalparameter gemessen hat, stuft die Schwester den Patienten in die zweithöchste Prioritätsstufe ein, er muss also dringend behandelt werden.
    Vier Minuten später betritt die Ärztin Irma Goodwin den Raum, und die Schwester erstattet ihr unverzüglich Bericht:
    »Die Atemwege sind frei, es liegt kein akutes Trauma vor … aber die Blutsättigung ist schlecht, der Patient hat Fieber, reagiert verwirrt, der Blutdruck ist zu niedrig.«
    Die Ärztin wirft einen Blick in den Anamnesebogen und geht zu dem hageren Mann. Seine Kleider sind aufgeschnitten worden. Die knöcherne Brust hebt und senkt sich im Rhythmus seiner rasselnden Atemzüge.
    »Immer noch kein Name?«
    »Nein.«
    »Geben Sie ihm Sauerstoff.«
    Der junge Mann liegt mit zitternden, geschlossenen Lidern
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