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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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da, während die Schwester ihm eine Sauerstoffmaske anlegt.    
    Er sieht seltsam unterernährt aus, aber sein Körper weist keine erkennbaren Injektionsnarben auf. Irma Goodwin hat nie zuvor einen so weißen Menschen gesehen. Die Krankenschwester misst noch einmal die Körpertemperatur in seinem Ohr.
    »Neununddreißig neun.«
    Irma Goodwin kreuzt an, welche Blutuntersuchungen durchgeführt werden sollen, und wendet sich anschließend wieder dem Patienten zu. Seine Brust zuckt, er hustet schwach und öffnet für einen kurzen Moment die Augen.
    »Ich will nicht, ich will nicht«, flüstert er manisch. »Ich muss nach Hause, ich muss, ich muss …«
    »Wo wohnen Sie? Können Sie mir sagen, wo Sie wohnen?«
    »Wer … wer von uns?«, fragt er und schluckt schwer.
    »Er fantasiert«, meint die Schwester leise.
    »Haben Sie irgendwo Schmerzen?«
    »Ja«, antwortet er mit einem verwirrten Lächeln.
    »Können Sie mir sagen …«
    »Nein, nein, nein, nein, sie schreit in mir, ich halte das nicht aus, ich kann nicht, ich …«
    Seine Augen rollen nach hinten, er hustet, murmelt etwas über Finger aus Porzellan und atmet keuchend.
    Irma Goodwin beschließt, dem Patienten eine Spritze Neurobion, fiebersenkende Mittel und intravenös verabreichte Antibiotika, Benzylpenicillin, zu geben und die Laborwerte abzuwarten.
    Sie verlässt den Behandlungsraum, geht den Flur hinab und streicht sich über den Ringfinger, an dem sie achtzehn Jahre lang ihren Trauring getragen hat, bis sie ihn in der Toilette hinunterspülte. Ihr Mann hatte sie viel zu lange betrogen, als dass sie ihm hätte verzeihen können. Es tut nicht mehr weh, aber es macht sie immer noch traurig, weil es ihr wie eine riesige Verschwendung ihrer gemeinsamen Zukunft vorkommt. Sie überlegt, ob sie ihre Tochter anrufen soll, obwohl es schon so spät ist. Nach der Scheidung ist sie noch ängstlicher geworden als vorher und ruft Mia viel zu oft an.
    Durch die Tür hört sie die Stationsschwester am Ambulanztelefon sprechen. Ein Krankenwagen mit einem Notfall der höchsten Prioritätsstufe ist unterwegs. Ein schwerer Autounfall. Die Stationsschwester stellt ein Notfallteam mit einem Chirurgen zusammen.
    Irma Goodwin bleibt stehen und kehrt hastig zu dem Zimmer zurück, in dem der Patient mit unbekannter Identität liegt. Die Schwester mit den roten Wangen hilft einer anderen, eine blutende Wunde in der Leiste zu reinigen, die aussieht, als wäre der junge Mann geradewegs in einen scharfen Ast gerannt.
    Irma Goodwin stellt sich in die Tür.
    »Der Patient muss ein Makrolidantibiotikum bekommen«, erklärt sie mit Nachdruck. »Ein Gramm Erythromycin intravenös.«
    Die Krankenschwester blickt auf.
    »Sie glauben, er hat die Legionärskrankheit?«, fragt sie erstaunt.
    »Wir werden sehen, was die Laborwerte …«
    Irma Goodwin verstummt, als der Körper des Patienten zuckt. Sie richtet den Blick auf sein weißes Gesicht und sieht, dass er langsam die Augen öffnet.
    »Ich muss nach Hause«, flüstert er. »Ich heiße Mikael Kohler-Frost, und ich muss nach Hause …«
    »Mikael Kohler-Frost«, sagt Irma. »Sie befinden sich im Söder-Krankenhaus und …«
    »Sie schreit die ganze Zeit!«
    Irma verlässt den Behandlungsraum und eilt im Laufschritt zu ihrem schlicht eingerichteten Büro. Sie schließt die Tür hinter sich, zieht ihre Brille an, setzt sich an den Computer und loggt sich ein. Im Krankenarchiv ist er nicht verzeichnet, so dass sie zum Bevölkerungsarchiv wechselt.
    Dort findet sie ihn.
    Irma Goodwin fingert unwillkürlich an der leeren Stelle an ihrem Ringfinger herum und liest ein weiteres Mal die Informationen über den Patienten in ihrem Behandlungsraum.
    Mikael Kohler-Frost ist seit sieben Jahren tot und liegt auf dem Malsta-Friedhof in der Gemeinde Norrtälje begraben.

15
    Kriminalkommissar Joona Linna befindet sich in einem kleinen Raum mit Wänden und Boden aus nacktem Beton. Er kniet, und ein Mann in einer Tarnuniform zielt mit einer Pistole, einer schwarzen SIG Sauer, auf seinen Kopf. Die Tür wird von einem anderen Mann bewacht, der den Lauf seines belgischen Sturmgewehrs auf Joona richtet.
    An der Wand steht eine Flasche Coca-Cola auf dem Boden. Das Licht kommt von einer Deckenlampe mit einem verbeulten Schirm aus Aluminium.
    Ein Handy surrt. Bevor sich der Mann mit der Pistole meldet, weist er Joona lautstark an, den Kopf zu senken.
    Der zweite Mann legt den Finger auf den Abzug und macht einen Schritt nach vorn.
    Der Mann mit der Pistole
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