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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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auf die er so lange gewartet hatte.
    Da keiner versucht hatte, mit ihm zu verhandeln, um das Mädchen zu finden, konnte er davon ausgehen, dass einer der neuen Patienten von der Polizei sein musste. Als Saga versuchte, Bernie Larsson zu retten, wusste er, dass sie es war.
    Jurek Walter hatte Anders Rönn beobachtet und gesehen, dass er seine Macht auf der Station genoss.
    Als Jurek merkte, wie fasziniert der junge Arzt von Saga war, wusste er plötzlich, wie ihm der Ausbruch gelingen würde. Er musste den jungen Arzt nur dazu verführen, mit Schlüsseln und Zugangskarte zu Saga hineinzugehen. Er wusste, dass der Arzt der schlafenden Schönheit nicht würde widerstehen können. Jurek verbrachte mehrere Nächte damit, Toilettenpapier einzuweichen, es auf seinem Gesicht trocknen zu lassen und anschließend einen Kopf mit ihm zu formen, damit es aussah, als würde er in seinem Bett schlafen.
    Saga bleibt im kalten Wind auf der Sankt Paulsgatan vor einer Bäckerei stehen, kann sich aber nicht entscheiden, ob sie hineingehen soll. Joona meinte, Jurek Walter belüge jeden. Jurek hörte einem aufmerksam zu und fügte die Dinge, die er erfuhr, so zusammen, dass sie ihm von Nutzen waren. Er vermischte seine Lügen mit Wahrheiten, damit sie überzeugender klangen.
    Saga kehrt um und überquert den Mariatorget in Richtung Hornsgatan. Schnee wirbelt hoch, und sie geht gleichsam in einem Tunnel aus Trauer und einer Einsamkeit, die eng mit dem Winterlicht und der Erinnerung an sich selbst als Kind verbunden ist.
    Sie wollte ihre Mutter nicht töten, das weiß sie genau, das war niemals ihre Absicht.
    Saga geht langsam weiter und denkt an ihren Vater. Lars-Erik Bauer. Kardiologe im Sankt Görans-Krankenhaus. Seit sie dreizehn war, hat sie kein richtiges Gespräch mehr mit ihm geführt. Trotzdem hatte Jurek sie dazu gebracht, sich daran zu erinnern, wie oft ihr Vater sie bei den Großeltern auf der Schaukel angestoßen hatte, als sie noch klein war und bevor ihre Mutter krank wurde …
    Plötzlich bleibt sie stehen, und ihr läuft ein Schauer über Rücken und Arme.
    Ein Mann, der ein kleines Mädchen auf einem Schlitten zieht, geht an ihr vorbei.
    Saga denkt daran, dass Jurek Walter alle angelogen hat.
    Warum sollte sie also glauben, dass er ihr die Wahrheit gesagt hat?
    Saga setzt sich auf eine schneebedeckte Parkbank, holt ihr Handy heraus und ruft Åhlén an.
    »Nils Åhlén, Gerichtsmedizin.«
    »Hallo, hier spricht Saga Bauer«, meldet sie sich. »Ich würde gerne …«
    »Wir haben die Leiche identifiziert«, fällt Åhlén ihr ins Wort. »Der Name des Mannes ist Anders Rönn.«
    »Danach wollte ich eigentlich gar nicht fragen.«
    »Sondern?«
    Es wird still, und Saga beobachtet, wie Schnee von der Skulptur Thors heruntergeweht wird, der seinen Hammer gegen die Midgardschlange erhebt. Dann hört sie sich fragen:
    »Wie viele Tabletten Codein muss man nehmen, um daran zu sterben?«
    »Geht es um ein Kind oder einen Erwachsenen?«, erkundigt sich Åhlén, ohne sonderlich überrascht zu wirken.
    »Um einen Erwachsenen«, antwortet Saga und schluckt hart.
    Sie hört Åhlén durch die Nase atmen und im Hintergrund das Knattern einer Computertastatur.
    »Es hängt natürlich ein bisschen von der Statur und anderen Faktoren ab … aber zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Tabletten dürften eine tödliche Dosis ergeben.«
    »Fünfundvierzig?«, fragt Saga und hält sich das Ohr zu, als ihr Tinnitus plötzlich lauter wird. »Aber wenn dieser Mensch nur dreizehn eingenommen hätte, könnte er dann trotzdem sterben? Kann man an dreizehn Tabletten sterben?«
    »Nein, das ist unmöglich, er schläft und erwacht mit …«
    »Dann hat sie den Rest selbst genommen«, flüstert Saga und erhebt sich auf unsicheren Beinen.
    Tränen der Erleichterung treten ihr in die Augen. Jurek war ein Lügner, es war das Einzige, was er machte, er zerstörte andere Menschen mit seinen Lügen.
    Ihr ganzes Leben lang hat sie ihren Vater gehasst, weil er seine Mutter und sie verließ. Weil er nicht kam, weil er ihre Mutter sterben ließ.
    Sie muss die Wahrheit erfahren. Es gibt keinen anderen Weg.
    Sie greift erneut nach ihrem Handy, ruft die Auskunft an und bittet darum, mit Lars-Erik Bauer in Enskede verbunden zu werden.
    Während es klingelt, geht Saga langsam weiter über den Platz.
    »Hallo, hier ist Pellerina«, meldet sich eine Kinderstimme.
    Saga drückt das Gespräch weg, ohne ein Wort zu sagen. Sie bleibt stehen und schaut zum weißen
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