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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Lars Kepler
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geräumigen Büro ihres Chefs. Dort warten bereits Nathan Pollock, Carlos Eliasson und Verner Zandén. Auf dem Tisch stehen eine Flasche Taittinger und fünf Champagnergläser.
    Die Tür wird geschlossen, und Saga gibt den drei Männern die Hand.
    »Lasst uns zunächst unseres Kollegen Samuel Mendel, seiner Familie und aller anderen Opfer mit einer Schweigeminute gedenken«, sagt Carlos.
    Saga senkt den Kopf, und ihr Blick richtet sich nach innen. Sie sieht die ersten Aufnahmen vom Polizeieinsatz in dem Industriegebiet vor sich, in dem früher die alte Zementfabrik lag. In den ersten Morgenstunden war allen endgültig klar geworden, dass sie keines der Opfer lebend finden würden. Im feuchten Schnee hatten die Kriminaltechniker vierzehn Gräber mit nummerierten Schildern markiert. Samuel Mendels Söhne hatten zusammengebunden in einem nur mit einer Wellblechplatte abgedeckten Schacht gelegen. Rebeckas sterbliche Überreste lagen zehn Meter entfernt in einer Tonne mit einem Luftrohr aus Plastik vergraben.
    Die Stimmen gehen in Sagas Tinnitus unter, also schließt sie die Augen und versucht zu verstehen.
    Die traumatisierten Zwillinge waren nach Polen gegangen, wo Roman einen Mann tötete, seinen Pass an sich nahm und so zu Jurek Walter wurde. Gemeinsam nahmen sie eine Fähre von Swinemünde nach Ystad und reisten durch Schweden.
    Als Männer mittleren Alters kehrten die Brüder zu dem Ort zurück, an dem sie von ihrem Vater getrennt worden waren, in die Wohnung Nummer vier in den Gastarbeiterbaracken der Kiesgrube von Rotebro.
    Jahrzehntelang hatte ihr Vater versucht, die Jungen zu finden, ohne selbst nach Russland reisen zu können, da man ihn sonst in einen Gulag gebracht hätte. Hunderte Briefe hatte er verschickt, um seine Kinder aufzuspüren, und auf ihre Rückkehr gewartet, doch nur ein Jahr, bevor die Brüder nach Schweden kamen, gab der alte Mann auf und erhängte sich in seinem Keller.
    Bevor Saga das Krankenhaus verlassen hatte, hatte Joona die Augen geschlossen und sich aufzusetzen versucht, als er folgerte, die Konfrontation mit dem Selbstmord seines Vaters habe den letzten Rest von Jurek Walters Seele zum Erlöschen gebracht.
    »Er begann, seinen Teufelskreis aus Blut und Rache zu ziehen«, hatte Joona fast lautlos gesagt.
    Alle Personen, die in seinen Augen schuld daran waren, dass seine Familie auseinandergerissen wurde, sollte das gleiche Schicksal ereilen. Jurek würde ihnen ihre Kinder, Enkelkinder und Frauen, ihre Schwestern und Brüder nehmen. Die Schuldigen sollten so einsam wie sein Vater zurück bleiben, sie würden Jahr um Jahr warten und erst, wenn sie sich das Leben genommen hatten, würden diejenigen, die noch am Leben waren, zurückkommen dürfen.
    Deshalb töteten die Zwillinge ihre Gefangenen nicht – nicht die Begrabenen wurden bestraft, sondern die Menschen, die alleine zurückblieben. Bis zu deren Selbstmord wurden die Opfer in Särgen oder Tonnen mit Luftrohren untergebracht. Die meisten starben bereits nach ein paar Tagen, andere lebten dagegen noch Jahre.
    Die Leichen, die im Lill Jans-Wald und in der Nähe des früheren Industriegebiets Albano gefunden wurden, brachten das ganze Ausmaß von Jurek Walters grauenvoller Rache zu Tage. Er folgte einem vollkommen logischen Plan, weshalb seine Vorgehensweise auch nicht der anderer Serienmörder entsprach. Einzig sein Plan erklärte die eigenartige Auswahl seiner Opfer.
    Die Polizei wird noch geraume Zeit benötigen, um jedes Detail zu ermitteln, aber fest steht bereits, wer die Opfer waren. Jeder, der vor langer Zeit Anteil an der Trennung der Familie gehabt hatte, war von den Brüdern aufgespürt worden. Angefangen bei Reidar Frost, der die Jungen beim Vorarbeiter der Kiesgrube verpetzt hatte, über den Verantwortlichen im Jugendamt bis zu den Sachbearbeitern und Verantwortlichen in der Ausländerkommission.
    Saga denkt an Jeremy Magnusson, der ein junger Mann war, als er den Fall der Zwillinge in der Ausländerkommission bearbeitete. Jurek Walter nahm ihm seine Frau, den Sohn, den Enkel und zuletzt seine Tochter Agneta. Als Jeremy Magnusson sich schließlich in seiner Jagdhütte erhängte, ging Jurek zu dem Grab und ließ Agneta, die noch am Leben war, heraus.
    Saga führt sich noch einmal vor Augen, dass Jurek sie tatsächlich ausgegraben hatte, genau wie er es im Gespräch mit Joona angedeutet hatte. Er hatte den Sarg geöffnet, an ihrem Grab gesessen und ihre blinden Bewegungen beobachtet. Sie war eine Variante seiner selbst in
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