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Die Blut-Prinzessin

Die Blut-Prinzessin

Titel: Die Blut-Prinzessin
Autoren: Jason Dark
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Es gibt Menschen, die erfreuen sich sogar am Anblick einer Leiche. Das können Beerdigungsunternehmer sein, die für jeden Toten kassieren, aber auch Kosmetiker, die dafür sorgen, dass der Verblichene auch im Sarg gut aussieht.
    Die Frau, die ich bewachte, sah nicht gut aus. Bei manchen Toten ist das Leiden der letzten Sekunden des Lebens im Gesicht wie eingefroren. Bei dieser Frau aber war das nicht der Fall. Da stand der Mund offen. Zugleich war er zu den verschiedenen Seiten hin verzogen, sodass es aussah, als würde die Person den Betrachter angrinsen, und das auf eine widerliche, hämische und irgendwie wissende Art und Weise. Hinzu kam, dass die Augen nicht geschlossen waren, was ich mir nicht erklären konnte, denn normalerweise erledigt das spätestens der Leichenbeschauer. Doch die Deckel standen offen, und so konnte ich die dunklen Pupillen sehen, die aussahen wie Ölflecke.
    Ich traute mich nicht, ihr die Augen zu schließen. Ich wollte diese tote Person einfach nicht berühren.
    Die Tote hatte eine dunkle Hautfarbe. Allerdings nicht die einer Schwarzafrikanerin. Im Leben war ihre Haut etwas heller gewesen, ging mehr ins Weiche, Schokoladenbraune, aber der Tod hatte auch bei ihr seine Spuren hinterlassen. Das Gesicht wirkte jetzt, als wäre es mit einer grauen Puderschicht überzogen. Das galt auch für die Hände, die aus den Ärmellöchern des Totenhemds hervorschauten, dessen weißer Stoff im Licht der Kerzen einen rötlichen Schimmer bekommen hatte. Wobei dieser Schimmer immer wieder leicht wechselte, wenn sich die Flammen der Kerzen bewegten, die paarweise am Kopf- und Fußende in Halterungen standen.
    Die Frau hatte irgend wann ihr Heimatland verlassen und war nach London gekommen. Man tippte auf Äthiopien, und für solch bedauernswerte Menschen war es recht leicht, in dieser Stadt unterzutauchen, denn die Pflicht eines Ausweises soll bei uns noch eingeführt werden.
    Sie war also nicht registriert, und es hätte sich um ihr Ableben auch niemand gekümmert, wenn es nicht da ein Problem gegeben hätte, dessentwegen ich hier neben dem Sarg hockte und die tote Frau beobachtete.
    Es hieß, dass die Frau zwar tot war, und das war auch amtlich, aber es sollte mit ihr etwas passieren, das man kaum erklären konnte. Angeblich sollte sie aus ihrem starren Dasein erwachen und als Zombie die Leichenhalle verlassen.
    Das war mir gesagt worden!
    Ich hatte nicht gelacht. Ich hatte es auch nicht für eine Farce gehalten, denn nicht erst einmal war ich mit diesen lebenden Leichen konfrontiert worden; ich war ihnen schon öfter begegnet und hatte erleben müssen, wie grausam sie waren.
    Ich hätte die Geschichte nicht jedem geglaubt, aber da gab es einen Kollegen, der in Afrika geboren war und sich mit den Gepflogenheiten der Menschen gut auskannte. Er hatte davon gesprochen, dass diese Person durchaus wieder erwachen könnte.
    Natürlich hatte ich mich nach den Gründen erkundigt, jedoch keine so genaue Antwort erhalten.
    »Ich kann Ihnen auch nicht sagen, John, was dahinter steckt, aber man flüstert in gewissen Kreisen von einem alten Blutzauber, der nach London gebracht worden ist.«
    Blutzauber hin, Blutzauber her – zunächst konnte ich mir darunter nichts vorstellen und saß weiterhin auf dem Holzstuhl neben dem Sarg. Als Unterlage diente ein recht flaches Kissen. Trotzdem tat mit der Hintern weh.
    Ich hätte mich am liebsten verzogen und mir eine andere Umgebung ausgesucht, aber ich hatte versprochen, zu warten, und ein Limit hatte ich mir auch nicht gesetzt.
    Das Erwachen sollte in der Dunkelheit passieren. Da die im Winter sehr lang war, konnte ich mich auf eine entsprechende Wartezeit gefasst machen.
    In dieser Umgebung gab es auch nichts, was mich positiv abgelenkt hätte. Eine triste Halle. Keine Bilder an den Wänden, nur kleine Fenster, hinter denen sich die Dunkelheit ballte, und manchmal ein Schatten, der außen an den Fenstern vorbeihuschte, wenn der Wind mit einigen Zweigen spielte und deren Schatten dann über die Scheiben huschten.
    Ich blickte mal wieder auf die Uhr.
    Der Zeiger war kaum weitergerückt. Das Gefühl hatte ich zumindest. So wartete ich weiter, schaute hin und wieder gegen die starre Grinsfratze der Toten und dachte zum wiederholten Male darüber nach, wie alt die Frau wohl gewesen sein mochte, bevor sie das Schicksal ereilt hatte.
    Ganz jung war sie nicht mehr. Mittleres Alter, schätzte ich. Vielleicht um die vierzig. Aber sie sah älter aus, das war auch im Angesicht des
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