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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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feststellte, äußerst irdische Klagelaute drangen.
    »Carl, hörst du das? Da weint doch jemand!«
    Carl runzelte die Stirn und lauschte konzentriert. »Ist das nicht Birrinbirrin?«
    »Du hast recht. Komm schnell, wir müssen nachsehen, was er hat. Vielleicht ist er verletzt!«
    Sie rannten auf die Höhle zu, aus der das Jammern kam.
    »Ob es mit seiner bevorstehenden Initiation zu tun hat?«, keuchte Emma. »Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
    »Wir werden es gleich erfahren.«
    Das Jammern schwoll zu einem durchdringenden Schrei an. Emmas Gedanken überschlugen sich. Sie wusste, dass Birrinbirrin wie alle Halbwüchsigen die Rituale der Mannwerdung durchlaufen musste, zu denen es beispielsweise gehörte, eine Zeitlang außerhalb des Lagers zu leben. Was allerdings sonst noch für notwendig erachtet wurde, um ein vollwertiger Erwachsener zu werden, darüber wurde im Clan nur geflüstert. Es gehörte zu den Geheimnissen, die Außenstehenden nicht verraten wurden; selbst die Frauen wussten nicht genau, was die jungen Männer über sich ergehen lassen mussten. Klar war nur, dass die meisten von ihnen nach der Heimkehr ins Lager Trost und emotionalen Beistand brauchten.
    Als ein weiterer Schrei erklang, begann Emma zu ahnen, warum das so war. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, und sie rannte schneller.
    Wenn sie ihn foltern, schoss es ihr durch den Kopf, gehe ich dazwischen, Initiation hin oder her!
    Carl erreichte die Höhle Sekundenbruchteile vor ihr. Schwer atmend wollte er das dunkle Loch im Felsen betreten, als er zurückprallte und bleich wurde. Und als Emma ihn erreicht hatte und sah, was er sah, wich auch aus ihrem Gesicht alle Farbe.
    Fünf erwachsene Männer, unter ihnen Purlimils Mann Yileen, hockten um Birrinbirrin herum, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rücken lag. Die Männer hielten ihn an Armen und Beinen fest auf den steinernen Boden gedrückt, so dass er nichts als seinen Kopf bewegen konnte. Im hinteren Teil der Höhle brannte ein kleines Feuer und sandte eine dünne Rauchfahne in die feuchtkühle Luft. Es roch nach Qualm, Angstschweiß und Moder.
    Und über allem hing der Übelkeit erregende Gestank verbrennenden Fleisches.
    »Um Gottes willen!«, flüsterte Emma entsetzt.
    Carl griff nach ihrer Hand und drückte sie so fest, dass es wehtat.
    »Was habt ihr hier zu suchen?«, fragte Yileen erschrocken. »Macht euch davon, das geht euch nichts an!«
    Auch in die anderen Männer kam nun Leben.
    »Fremden ist die Teilnahme an Initiationsritualen bei Strafe verboten!«, drohte einer und warf ihnen einen wütenden Blick zu. Es war Dayindi, der law man des Clans, der für die Einhaltung der Gesetze zuständig war.
    Birrinbirrin starrte Emma einen Augenblick lang an, als wisse er nicht, ob er sich seiner hilflosen Position auf dem Felsboden schämen oder Emma und Carl um Hilfe anflehen sollte. Dann aber presste er den Mund zu einem schmalen Strich zusammen und drehte abrupt den Kopf zur Seite.
    Emmas Mund war staubtrocken. Sie brauchte zwei Anläufe, bis sie die Worte verständlich herausbrachte.
    »Ihr … ihr tut ihm weh. Dayindi, Yileen … ihr könnt ihm doch nicht die Brust verbrennen! Er ist noch beinahe ein Kind!«
    »Er wird dadurch zum Mann«, sagte Yileen mit verschlossener Miene. »Geht jetzt. Es ist, wie es ist. Ihr habt hier nichts zu suchen.«
    Emma schaute Yileen direkt ins Gesicht. Der Schwarze war, genau wie Purlimil, von Anfang an ihr Freund gewesen. Sie schätzte und respektierte ihn. Wie konnte es sein, dass er sich hieran beteiligte?
    »Aber ihr quält ihn!« Fassungslos schaute sie zwischen Birrinbirrin, den Männern und den Marterwerkzeugen in deren Händen hin und her. »Ihr brennt ihm mit glühenden Feuerstöcken tiefe Wunden in die Brust!« Sie schüttelte den Kopf, als ihr aufging, warum sie das taten. »Nur damit er diese grotesken Narben bekommt, auf die ihr alle so stolz seid? Verdammt noch mal, das ist ja barbarisch!«
    »Emma«, warnte Carl sie leise. »Pass auf, was du sagst. Zumal Birrinbirrin deine Hilfe offensichtlich gar nicht will.«
    Ihr Blick flog zu dem jungen Mann, der mit angespanntem Kiefer an die Höhlenwand starrte. Obwohl die anderen Männer abgelenkt waren, niemand ihn mehr festhielt und er leicht hätte aufstehen und fliehen können, machte er keinerlei Anstalten dazu.
    »Das glaube ich einfach nicht«, flüsterte Emma, als sie es begriff: Birrinbirrin erlitt jede Sekunde seines Schmerzes freiwillig.
    Dayindi
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