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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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an Schadenszauber sich ja für ihren nächsten wissenschaftlichen Bericht an die Kolonialregierung.
    Allmählich machten die spärlich stehenden, silbergrünen Eukalypten saftig aussehenden Palmen und riesenhaften Farnen Platz. Die Luft bekam diese unwirklich grünliche Färbung, die den Regenwald ankündigte und die Emma von Anfang an verzaubert hatte.
    Sie erinnerte sich an ihren allerersten Ausflug in den Urwald, damals, als sie noch die unterbezahlte Assistentin des grässlichen Oskar Crusius gewesen war. Oskar, dessen größter Wunsch darin bestanden hatte, Emma zu unterwerfen …
    Nur nicht mehr an ihn denken!, ermahnte sie sich scharf. Oskar war Vergangenheit, er war schon vor Monaten nach Deutschland zurückgekehrt, und Emma würde ihn niemals wiedersehen. Schon gar nicht mitten im Regenwald.
    Unwillkürlich musste sie lächeln. Wieder einmal wurde ihr das Ungeheuerliche ihrer Lebensweise bewusst: Statt in einem zivilisierten Haus in einer zivilisierten Stadt an einem zivilisierten Herd zu stehen, lebte sie frei wie ein Vogel in der australischen Wildnis. Teilte ihren Alltag mit den Eingeborenen des Cunningham’s Gap Scrub, eines Teils des subtropischen Regenwaldes auf der Great Dividing Range. Und wurde für das bezahlt, was sie am liebsten tat: wissenschaftlich arbeiten. Denn vor einigen Wochen hatte sie den offiziellen Bescheid der Kolonialregierung bekommen, dass die Gelder für ihr unkonventionelles Forschungsprojekt bewilligt worden waren.
    Noch immer kam Emma diese Tatsache wie ein Wunder vor.
    Sie dachte daran, wie skeptisch die zuständigen Herren in Sydney gewesen waren, als Emma und Carl ihnen im Juli ihr Projekt vorgestellt hatten – und wie sich der Zweifel in ihren Mienen langsam, aber sicher in Faszination verwandelt hatte, als sie begriffen, wie revolutionär und wie zukunftsweisend das Scheerer-Projekt war. Denn Emma und ihr frischgebackener Ehemann wollten nicht nur die Heilmittel der Eingeborenen erforschen, wie es bereits so mancher weiße Arzt vor ihnen versucht hatte.
    Emma und Carl würden sich nicht damit begnügen, die medizinische Wirkung von Säften und Pasten zu beschreiben; sie wollten auch die Rituale beobachten, die sich darum rankten. Bei den Eingeborenen, das hatten sie schnell gelernt, gab es keine isolierten Handlungen, keine einfachen Ursachen mit klaren Wirkungen. Stattdessen hing alles mit allem zusammen, und Heilung auf der körperlichen Ebene konnte nur dann erfolgen, wenn auch die geistige und spirituelle Ebene berücksichtigt wurde.
    Das klang für weiße Ohren erst einmal verrückt, so viel war auch den Scheerers klar. Aber Carl hatte seine ganze Autorität als renommierter Forscher in die Waagschale geworfen, um die Herren trotzdem von dem Projekt zu überzeugen, so wie Emma wenige Wochen zuvor ihn überzeugt hatte. Sachlich und doch voller Feuer hatte er ihnen erklärt, wie immens der Nutzen sein würde, den die Weißen aus der Kenntnis neuer Heilsysteme ziehen konnten – und dass diese Kenntnis nur zu erlangen sei, wenn man das tägliche Leben der Schwarzen beobachtete, in ihren Glauben eintauchte, ihre Sitten und Rituale analysierte, kurz: mit ihnen zusammenlebte.
    Dank Carls gutem Ruf hatten die Herren ihnen schließlich eine Chance gegeben. Die Scheerers hatten einen gemeinsamen Vertrag auf unbestimmte Dauer erhalten und dazu die erleichternde Information, dass ihr ehemaliger Kollege Oskar Crusius nach Deutschland zurückgekehrt sei. Seither arbeitete Emma hochoffiziell als Forscherin im Auftrag der englischen Kolonialregierung.
    Sie, eine Frau.
    Es war unerhört.
    Und so wundervoll, dass Emma es in manchen Momenten kaum fassen konnte, welch glückliche Wendung ihr Schicksal genommen hatte.
    Sie lächelte immer noch, als sie zusammen mit den schwarzen Frauen und Kindern das Lager des Clans betrat, eine Ansammlung einfacher Hütten, die in der Nähe eines breiten Baches standen. Die Hütten waren aus Rinde, Gras und Zweigen gebaut worden, und obwohl Emma anfangs gedacht hatte, dass solch wackelige Behausungen gewiss keine vier Wochen halten würden, hatten sie sich als erstaunlich standfest erwiesen.
    Zwischen den Hütten wucherten Farne und hohe, schlanke Feuerpalmen; hier und da knisterte ein Feuer im grünen Dämmerlicht. Auf dem Boden hockten die Männer, die nicht auf der Jagd waren, und bearbeiteten mit scharfen Steinen ihre Speere, Werkzeuge und Messer. Dazwischen sprangen junge Dingos herum, die älteren Tiere lagen träge bei den Männern.
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