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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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jungen Dame eigentlich nicht anstand. Aber eine Dame war sie ja sowieso nicht mehr, seit sie in Australien lebte.
    Sie war eine Frau.
    Eine arbeitende, verliebte und durch den ständigen Aufenthalt im Freien ziemlich abgehärtete Frau. Gut, vielleicht hatte Carl recht, sie war mitunter auch eine streitbare Frau – wenn es um Dinge ging, die ihr wirklich wichtig waren. Mehr als einmal hatte sie in den letzten Monaten mit den Schwarzen über Bräuche diskutiert, die sie hart oder ungerecht fand, und nicht immer hatte sie sich dadurch Freunde gemacht.
    Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie ließ sich auf die Decken fallen, die auf dem Boden des Zeltes lagen.
    Carl wandte sich zu ihr um, und sie streckte die Arme nach ihm aus.

2
    A m späten Nachmittag verließen Emma und Carl ihr Zelt, um ein dringend nötiges Bad im nahen Bach zu nehmen.
    Sie hatten sich ihre gemeinsamen Bäder schon bald nach der Hochzeit angewöhnt. Versteckte Plätze dafür gab es am Laufe des wilden Baches genug. Emma liebte es, mit Carl das frische Wasser zu genießen, und mehr noch liebte sie das Gefühl von Intimität und Vertrauen, das sich dabei zwischen ihnen einstellte.
    Purlimil, die vor ihrer Rindenhütte hockte und im Feuer stocherte, den riesigen Babybauch zwischen den Knien, grinste ihr wissend zu. Emma grinste zurück. Sich zu schämen, weil sie sich mit Carl am helllichten Tag der körperlichen Liebe hingegeben hatte – und jeder hier es ahnte –, hatte sie längst aufgegeben. Sexualität galt im Clan schließlich als ebenso natürlicher Teil des Alltags wie Schwangerschaft und Geburt. Alles gehörte zum Kreislauf des Lebens, das mit dem Tod endete und in eine Wiedergeburt mündete.
    Es war eine völlig andere Sichtweise als die, die man Emma in ihrer strengen schwäbischen Heimat beigebracht hatte, und so hatte sie eine Weile gebraucht, bis sie die Unbekümmertheit der Eingeborenen hatte übernehmen können. Aber Deutschland und Emmas Erziehung waren weit, weit weg; die Mutter war tot, und der Vater hatte nie auf Emmas Brief geantwortet; Carl und die Schwarzen hingegen waren ständig um Emma herum. Warum sollte sie sich mit deutscher Prüderie belasten, wenn es niemanden gab, der dies von ihr forderte?
    Außerdem, dachte Emma, als sie nun mit Carl durchs Lager schlenderte, außerdem will ich mich ja anpassen.
    Deshalb lebte sie schließlich hier: um das Clanleben von innen kennenzulernen und zu begreifen.
    Sie fand, dass sie in ihren Bemühungen schon ziemlich weit gekommen war. Allerdings musste sie auch zugeben, dass es ganz ohne die Errungenschaften der modernen Welt doch nicht ging. Mit der Hütte zum Beispiel, in der sie ganz zu Anfang gewohnt hatten, hatte Emma sich einfach nicht anfreunden können. Nichts als Rindenstreifen und Gras um sich herum zu wissen war nichts für sie. Deshalb wohnten sie und Carl inzwischen in einem großen, weißen Zelt, das nicht nur wasserdicht war, sondern vor allem auch komplett geschlossen werden konnte und ihnen so das Gefühl gab, unbeobachtet zu sein.
    Anders als die Schwarzen besaßen Emma und Carl auch keinen Dingo als Wärmespender, sondern warme Decken. Und auch Kleidung trugen sie weiterhin, Anpassung hin oder her. Lediglich auf Krinoline und Korsett verzichtete Emma gerne.
    In regelmäßigen Abständen ritten sie außerdem gemeinsam nach Ipswich, um zur Post zu gehen, ihre Berichte an die Kolonialregierung abzuschicken und sich mit den unabdingbaren Gütern der Zivilisation zu versorgen wie Zahnpulver, Seife, Papier und Tinte. Emma besaß Haarbürsten und einen kleinen Spiegel, und Carl rasierte sich alle paar Tage.
    Man konnte nicht alles ablegen, was einem einmal wichtig gewesen war, da waren die beiden sich einig.
    Immerhin hatten sie ihre Essgewohnheiten geändert. Morgens frühstückten sie Mehlfladen oder Früchte, aßen manierlich vom Teller und tranken Wasser aus Zinnbechern; das Abendessen jedoch nahmen sie mit dem Clan in großer Runde ein. Sie aßen dann das, was alle aßen – und vor allem, wie sie es aßen: mit der Hand, ob es nun roh oder gekocht war, trocken oder triefend vor Blut und Fett. Ein bisschen eklig fand Emma das noch immer, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.
    Wo man es ihr gestattete, nahm Emma auch an den Bräuchen und Alltagsverrichtungen der Frauen teil, so dass sie detaillierte Berichte an die Kolonialregierung schreiben konnte, mit Erkenntnissen, die jedem männlichen Forscher verschlossen geblieben wären. Denn die
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