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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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Rinnsal. Doch besser als im Regenwald war es allemal, denn dort konnten die Pferde auf Dauer nicht sein. Hier hingegen hatten sie sich von Anfang an wohlgefühlt; schon damals, als Emma und Carl mit ihrer kleinen Forschergruppe die verlassenen Hütten des Straßenbauingenieurs Mr Hay in Besitz genommen hatten.
    Ihre Gedanken schweiften zurück.
    Damals hatten die Pferde ihre Weide noch mit den Lastochsen teilen müssen. Die Forscher hatten im Haupthaus und in den Hütten Pflanzenstudien betrieben, hatten wochenlang hier gelebt und gearbeitet, hatten den Eukalyptuswald und schließlich den Regenwald erkundet. In dieser Zeit hatte auch Emma, obwohl sie eine Frau war, ihren Forschergeist entdeckt, und Carl hatte sie darin unterstützt. Alles war gut gegangen – bis der eifersüchtige Oskar sein wahres Gesicht gezeigt hatte.
    Bis die Situation eskaliert war.
    Bis Oskar Emma fast vergewaltigt hätte und sie zu den Schwarzen geflohen war …
    Oskars gehässige Stimme, während seine Hände ihren Körper besudeln. Sein Atem, stinkend wie Pesthauch. Seine Drohung, dass sie es niemals vergessen würde.
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die demütigende Erinnerung zu vertreiben. Warum musste sie bloß immer wieder daran denken? Vorbei, dachte sie, es war ein für alle Mal vorbei! Doch erst als sie Carls liebevollen Blick auf sich spürte, wich die Erinnerung der Gegenwart. Wenn Carl bei ihr war, war alles gut. Dann konnte ihr nichts und niemand etwas anhaben.
    Emma ließ sich von Princess’ Rücken auf den Boden gleiten. Sie dachte daran, dass es leider auch die anderen Momente gab. Diejenigen, in denen sie fürchtete, sich niemals von Oskars Schatten befreien zu können – wenn Hass und Gewalt nur darauf zu lauern schienen, erneut über sie herzufallen. Würde sie je darüber hinwegkommen?
    »Alles in Ordnung bei dir, Liebste? Du siehst ein bisschen blass aus.«
    Carl saß ebenfalls ab. Er trat auf sie zu, und Emma spürte, dass seine bloße Existenz dazu imstande war, den Schatten in Schach zu halten. Dankbar lächelte sie.
    »Alles in Ordnung.«
    Carl legte ihr die Hand in den Nacken und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Die Dunkelheit wich dem Geschmack der Liebe, und als Emma den schweren Sattel von Princess’ Rücken hievte, die Stute festband und sich daranmachte, ihr den Staub aus dem Fell zu striegeln, war die Vergangenheit ein weiteres Mal gebannt.
    Mit Carl zusammen war sie unverwundbar.
    Auf dem Heimweg ins Lager der Schwarzen wurden Emma und Carl nass bis auf die Knochen.
    Es kümmerte sie kaum. Sie hatten es sich abgewöhnt, sich vor den zahllosen Schauern zu schützen, die in den Frühjahrsmonaten im Regenwald niedergingen; im Sommer, ab Dezember, würde es noch schlimmer werden. Aber so schnell man nass wurde, so schnell trocknete man auch wieder. Ohnehin herrschte schon jetzt eine solche Hitze, dass feuchte Kleidung am Körper kein Ärgernis war, sondern eher eine Wohltat.
    Hand in Hand liefen sie unter tropfenden Riesenfarnen, Palmen und mammutartigen Nadelbäumen den Weg entlang, den sie mittlerweile besser kannten als jede Straße der zivilisierten Welt. Wobei »Weg« ein arg beschönigender Ausdruck war, dachte Emma belustigt, handelte es sich doch um nichts als Wurzeln, Sträucher und Tümpel, die zusammen eine Art Netz aus Hinweisen bildeten. An ihnen konnten Emma und Carl sich orientieren. Und je müheloser sie das vermochten und je vertrauter ihnen die Natur um sie herum wurde, desto besser verstanden sie auch die Schwarzen und deren Art, die Welt zu sehen.
    Für die Eingeborenen hatte alles, was sie umgab, eine tiefere Bedeutung. Jeder Stein hatte seine Identität, jeder Erdwall, jeder Baum und jedes Tier war ein Beweis für die Traumzeit. Alles zeugte von den Taten der mächtigen Ahnenwesen, die in mythologischen Zeiten das Land durchstreift und gestaltet hatten. Was Emma teilweise wie ein kindlich-unschuldiges Märchen vorkam, das nahmen die Schwarzen als gegeben: die Schöpferkraft der Regenbogenschlange; die Allgegenwärtigkeit der Geister; die Heiligkeit der Erde.
    Und so war der Geröllhaufen, an dem Emma und Carl gerade vorbeikamen, eben keine zufällige Ansammlung von Steinen, sondern hier hatten die Ahnen Früchte angesammelt, und diese waren zu Steinen geworden. Auch die Höhle neben dem Wasserloch war nicht einfach eine Laune der Natur, sondern ein felsgewordener Unterschlupf der Himmelsschwestern.
    Aus dem allerdings, wie Emma in diesem Moment mit Schrecken
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