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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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konnte. »Vielleicht ist ein Gespräch mit Birwain gar keine so schlechte Idee«, sagte sie schließlich.

4
    E s überraschte Emma nicht, dass man in der Hütte kaum die Hand vor Augen sah. Sie wusste um die Vorliebe des alten Schamanen für geheimnisvolle Dunkelheit. Die abendliche Dämmerung vor den anderen Hütten wurde von zahlreichen Feuern erhellt; Birwains Hütte aber stand wie stets im Schatten. Er behauptete, auf diese Weise besser in Kontakt mit den Marmbeja treten zu können, die angeblich überall herumschwirrten.
    Als Carl zum ersten Mal davon gehört hatte, hatte er Birwains Aussage mit distanzierter Professionalität zur Kenntnis genommen und umgehend in einem Bericht an die Regierung verwertet. Emma hingegen war ein sehr unwissenschaftlicher Schauder über den Rücken gelaufen. Auch jetzt sah sie sich, nachdem ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, mit leichtem Unbehagen in der Hütte um.
    Vor Monaten hatte sie selbst eine Erfahrung mit den Marmbeja, den australischen Baumgeistern, gemacht, und diese war so eindrücklich gewesen, dass Emma den Glauben der Schwarzen seitdem nicht mehr auf die leichte Schulter zu nehmen vermochte. Natürlich wusste sie, dass es übernatürliche Wesen wie die Marmbeja nicht gab und dass man den Glauben an sie als Aberglauben bezeichnete, sonst wäre sie schließlich keine ernstzunehmende Forscherin. Aber dass sie, Emma, nicht an Geister glaubte, hieß ja noch lange nicht, dass diese nicht trotzdem existierten …
    »Emma! Carl! Es ist immer schön, euch in meiner Hütte begrüßen zu dürfen.« Der alte Schamane hockte auf dem Boden und bedeutete ihnen mit der Hand, sich ebenfalls niederzulassen.
    »Wie ich sehe, wächst dein Haar langsam nach«, krächzte er und deutete lächelnd auf Emmas Frisur, wobei er etliche Zahnlücken entblößte. Sein Gesicht legte sich in tausend kleine Falten.
    Emma lächelte schief. Sie wusste selbst, dass sie immer noch seltsam aussah; Purlimils Haarschneidekünste zeitigten langfristig verunstaltende Folgen. Aber sie war nicht gekommen, um über ihre Locken zu sprechen.
    »Birwain«, sagte sie stockend, »ich glaube, wir haben etwas Dummes angestellt.«
    »So, so«, antwortete der Schamane gelassen. »Heute?«
    Sie nickte.
    »Hat es zufällig mit Birrinbirrin zu tun?«
    Emma starrte ihn überrascht an. »Woher weißt du das?«
    Der Alte grinste. »Es gibt wenig, was die Geister mir nicht enthüllen. Manchmal missverstehe ich sie, aber das ist dann mein Fehler. Sie enthalten mir nichts vor.«
    Emma warf einen flüchtigen Blick auf Carl, der mit konzentrierter Miene neben ihr saß und aussah, als machte er sich in Gedanken bereits Notizen für den nächsten Bericht.
    Sie räusperte sich. »Was«, sagte sie zu Birwain, »soll ich dir dann überhaupt noch erzählen?«
    »Eure Sicht der Dinge«, sagte er ruhig.
    Emma musste lächeln. Das war es, was sie so an Birwain mochte: Er verurteilte nicht, sondern hörte zu, er war weise, aber niemals rechthaberisch, er drängte niemandem seine Sichtweise auf.
    Ganz im Gegensatz zu dir selbst, wenn dein Herz sich im Recht fühlt.
    Zerknirscht sagte sie: »Wir haben Birrinbirrins Initiation gestört. In einer Höhle, nicht weit vom Forschungslager entfernt.«
    Zum ersten Mal, seit sie die Hütte betreten hatten, ließ auch Carl sich vernehmen: »Es geschah in bester Absicht, Birwain. Wir hörten Schmerzenslaute und dachten, der Junge hätte sich verletzt.«
    »In Wirklichkeit wurde er verletzt«, sprudelte es aus Emma hervor. »Die Initiation, diese ganze Quälerei … das ist so grausam, Birwain! Warum glaubt ihr nur, das sei nötig? Schau dir Carl an! Ist er etwa kein Mann? Und er trägt keine Narben auf der Brust.«
    »Langsam, langsam«, sagte der Schamane beschwichtigend. »Carl ist keiner von uns. Also untersteht er nicht unseren Gesetzen. Wir aber müssen sie befolgen, ob es uns gefällt oder nicht.«
    »Gesetze, Gesetze!«, rief Emma. »Gesetze sind wandelbar, Birwain. Wenn man erkennt, dass sie falsch sind, muss man sie eben ändern.«
    Carl, der merkte, dass sie sich bereits wieder in Rage redete, warf ihr einen warnenden Blick zu.
    Birwain jedoch sagte gelassen: »Siehst du, genau das ist der Unterschied zwischen euch Weißen und uns. Eure Gesetze sind von Menschen gemacht. Unsere aber kommen von den Ahnen. Sie sind unwandelbar und unantastbar. Sie gelten für immer und ewig.«
    »Auch wenn sie grausam sind?«, beharrte Emma.
    Er nickte. »Sogar dann. Lasst mich euch eine
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