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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra
Autoren: Julie Leuze
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Geschichte erzählen.«
    Carl zog sein Notizbuch und einen Bleistift hervor; der Wissenschaftler in ihm hatte die Führung übernommen. »Wenn’s recht ist, würde ich gerne mitschreiben. Darf ich?«
    Birwain lachte krächzend. »Du kannst nicht aus deiner Haut, was?«
    »Ertappt.« Carl zuckte mit einem verlegenen Lächeln die Schultern.
    Birwain signalisierte Carl mit einem Nicken sein Einverständnis, dann wandte er sich wieder an Emma. »Und du, Emma, hör gut zu. Es sind die Ahnen selbst, die durch diese Geschichte zu dir sprechen.«
    Blitzmann flog in den Himmel hinauf, denn es war der Beginn der Regenzeit. Am Himmel lag die Regenbogenschlange. Um sie herum türmten sich die Sturmwolken, die sie geschaffen hatte.
    In ihnen nahm Blitzmann Platz.
    Er begann, Blitze und Donner über den Himmel zu schicken. Doch erst als die Regenbogenschlange es erlaubte, schickten die Wolken ihr Wasser zur Erde.
    Blitzmann ließ seinen Blick über Wüsten, Busch und Wälder schweifen. Er sah alle Menschen, alles, was sie taten, und alles, was sie unterließen. Blitzmann überprüfte, ob sie die Rituale und Zeremonien, die er und die anderen Ahnen ihnen gegeben hatten, sorgfältig ausführten; ob sie die alten Geschichten erzählten und ob sie die Gesetze der Traumzeit befolgten. Meistens war er zufrieden, denn die Erde ist ein guter Ort, und die Menschen wissen das und ehren ihre Ahnen.
    Aber manchmal sah Blitzmann auch etwas, das ihn erzürnte.
    Birwain machte eine bedeutungsvolle Pause, und Emma hielt die Luft an. Sie ahnte, dass jetzt der Teil der Geschichte folgte, auf den es ankam.
    Blitzmann riss eine Axt von seinem Knie und schleuderte sie nach dem Gesetzesbrecher. Auf dem Weg zur Erde wurde die Axt zu einem gleißenden, todbringenden Blitz, und unten auf der Erde barst ein Baum … denn Blitzmann hatte den Menschen verfehlt und stattdessen den Baum gespalten.
    Doch Blitzmann konnte so viele Äxte schleudern, wie es ihm beliebte. Also riss er weitere Äxte aus seinem Körper, sandte sie als Blitze zur Erde und tötete den Gesetzesbrecher. Und nicht nur ihn: Alle, die sich schuldig gemacht hatten, wurden von den vielen Äxten des Blitzmannes getroffen, gespalten und verbrannt.
    Wie der Baum.
    »Aha.«
    Skeptisch blickte Emma den Schamanen an. Meinte er das ernst? Wegen dieses Schauermärchens sollte sie akzeptieren, was die Menschen im Hier und Jetzt einander antaten?
    Aus Angst vor einem Blitzmann?!
    Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Tut mir leid, Birwain, aber das überzeugt mich nicht. Logisch betrachtet rechtfertigt der Glaube an Ahnen und ihre Kräfte keineswegs verwerfliche Taten im …«
    »Lass gut sein, Emma«, unterbrach Carl sie leise und legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich glaube nicht, dass Birwain uns diese Geschichte erzählt hat, damit du ihre Botschaft nach Art der Weißen zerpflückst.«
    Emma presste die Lippen aufeinander.
    »Du musst nicht mit unserer Sicht der Welt übereinstimmen«, sagte Birwain, der sie aufmerksam beobachtet hatte. »Wir wollen sie dir nicht aufdrängen. Du allerdings«, er klang nun sehr ernst, »solltest das umgekehrt auch nicht tun.«
    Betroffen schwieg sie. So also kam ihr Engagement bei ihm an – nicht als Eintreten für das Wohlergehen und die Unversehrtheit eines Menschen, sondern als überhebliche Einmischung in etwas, das sie nichts anging und von dem sie nichts verstand.
    Emma erhob sich. Bitter sagte sie: »Ich dachte, du würdest meine Beweggründe verstehen. Es tut mir leid, dass ich mich geirrt habe.«
    Carl folgte ihr, als sie vor Birwain und seinen unbequemen Wahrheiten aus der Hütte floh. In schweigendem Einverständnis machten sie sich auf den Weg zu ihrem Lieblingsplatz auf die andere Seite des Baches.
    Es war ein Ort, den Emma als verwunschen bezeichnete. Aus einem Meer von Farnen erhoben sich majestätisch zwei black booyongs, turmhohe Bäume, deren Wurzeln sich wie die Falten weiter Röcke auf der Erde ausbreiteten. Die Baumriesen standen so nahe beieinander, dass sie auf Emma wie ein Liebespaar wirkten. Nirgendwo im Regenwald ließ sie sich so gerne mit Carl nieder wie hier.
    »Diese Axt-Geschichte ist lächerlich«, grummelte Emma, als sie es sich am Fuße des black booyong gemütlich gemacht hatte.
    Carl setzte sich ebenfalls, stützte das Kinn in die Hand und sagte nachdenklich: »Lächerlich finde ich sie nicht. Fremd vielleicht. Aber ob diesen Mythen eine tiefere Wahrheit zugrunde liegt, können wir nicht beurteilen, oder?«
    »Carl, wir sind
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