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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde
Autoren: Jutta Beyrichen
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Patricia später nicht sagen.
    Verweigerte das Pferd? Oder hatte den Wallach irgendetwas erschreckt? Jedenfalls kam Seaspray vor dem Doppeloxer mit einem Mal aus dem Tritt. Gavin trieb ihn energisch an, doch der mächtige Wallach warf den Kopf hoch. Als er schließlich viel zu früh absprang, stöhnte die Zuschauermenge auf. Patricia – zu Eis erstarrt und keines Lautes fähig – sah, wie sich Ross und Reiter mit einer machtvollen Kraftanstrengung am Hindernis emporarbeiteten, doch es war aussichtslos.
    Mit einem schrecklichen Krachen prallten die beiden mitten in den Oxer. Holz splitterte, Balken polterten und für einen langen, quälenden Moment vermochte vor lauter Staub und fliegenden Beinen keiner zu unterscheiden, was Pferd und was Mensch war.
    Ein Aufschrei ging durch die Menge. Dann wurde es totenstill, als sich der große Schimmelwallach endlich hochgekämpft hatte und schnaubend und mit bebenden Flanken stand. Sein Sattel war leer, die Zügel hingen herab. Für Patricia schien die Erde aufgehört zu haben, sich zu drehen.
    Vermutlich dauerte es nur wenige Augenblicke, bis der erste Helfer heraneilte. Doch Patricia kam es vor, als seien Stunden vergangen. Sie vermochte sich nicht zu bewegen, stand nur da und merkte, wie es eiskalt in ihr emporstieg.
    Dann begann sie zu zittern.
    »Nein, oh nein«, flüsterte sie.
    Doch es war keine Einbildung. Dort stand Seaspray, schnaubend, mit angelegten Ohren und vor Schreck weit aufgerissenen Augen auf drei Beinen, während immer mehr Menschen zum Ort des Sturzes strömten und sich zu der still daliegenden Gestalt hinabbeugten. Ein Sanitäter kam angerannt, seine schwere Tasche mehr schleifend als tragend.
    Und immer noch diese tödliche Stille.
    Jemand ergriff Patricias Arm. Sie achtete nicht darauf und sie hörte auch nicht, wie Katie keuchend neben ihr schluckte.
    Sirenen, ein Krankenwagen. Gleich darauf noch ein weiteres, kleineres Rettungsfahrzeug – wohl der Notarzt. Helen befand sich mitten unter ihnen, mit so weißem Gesicht, wie Patricia sie noch niemals erlebt hatte. Jemand trat zu dem Wallach und ergriff ihn beim Zügel. Seaspray schrak zurück, aber sie hielten ihn fest. Der Schrei des Pferdes traf Patricia bis ins Innerste.
    Sie konnte ihren Blick nicht von der Gruppe Menschen abwenden, die sich um den immer noch so schrecklich still liegenden Gavin kümmerten. Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals. Es durfte nichts passiert sein, nein, es konnte einfach nichts Schlimmes passiert sein. Doch nicht Gavin. Gleich würde er sich aufrichten, grinsen und über sein Missgeschick fluchen. Immerhin hatte er gerade seine Wette verloren.
    Wie von Weitem vernahm Patricia, wie jemand neben ihr drängend auf sie einsprach. Wahrscheinlich Katie oder Jennifer.
    Nun erschienen zwei Männer, die eine Trage mit sich führten. Sie rannten nicht mehr.
    Patricia sah, wie einer der Sanitäter Helen anblickte und mit dem Kopf schüttelte. Helen vergrub ihr Gesicht in den Händen, während man Gavins schmalen leblosen Körper auf die Trage hob und eine Decke über ihn zog. Sein Reithelm blieb am Boden neben dem Hindernis liegen, als sie ihn langsam vom Platz trugen.
    Über die Lautsprecher kam die Stimme des Turnierleiters, der die Zuschauer über den Abbruch der Veranstaltung unterrichtete. Patricia hörte nicht zu, ihre Augen folgten der Trage bis zum Ambulanzwagen. Inzwischen war auch der Tierarzt eingetroffen und Seapray wurde fortgeführt. Er lahmte ein wenig, doch ihm schien ansonsten nicht allzu viel passiert zu sein.
    »Patricia!«
    Es brauchte mehrere Male, bis Patricia reagierte. Schwerfällig blickte sie sich um. Helen stand neben ihr, mit verweintem Gesicht.
    Patricia wusste es, bevor Helen etwas sagte.
    »Er ist tot?« Ihre Stimme klang winzig und sie hatte das Gefühl, als wäre ihre Kehle mit Sand gefüllt.
    Helen nickte, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
    Patricia hörte, wie neben ihr Katie in fassungsloses Schluchzen ausbrach und Jennifer leise »Nein, nein, nein!« flüsterte. Doch sie blieb stumm.
    Es konnte einfach nicht wahr sein.

2.
    ». . . und ich hoffe, dass Deine Leistungen in diesem Trimester keinen Anlass zur Klage geben werden, denn Dein nächstes Zeugnis wird maß gebend für die Aufnahme in St. Andrews sein. Du wirst dort eine her vorragende Ausbildung erhalten, was schließlich nicht jedem zuteil wird, und es sollte selbstverständlich für Dich sein, dass Du das Deine dazu tust und Dein Studium mit Auszeichnung absolvierst.
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