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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde
Autoren: Jutta Beyrichen
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und fertig deswegen. Aber es muss doch irgendwie weitergehen. Du kannst dich doch jetzt nicht völlig vergraben.«
    Patricia sah auf. Was redete Jennifer? Wusste sie eigentlich, was sie da sagte? Vor zwei Wochen war die Beerdigung gewesen und Patricia standen immer noch die Bilder des blumengeschmückten Sarges, der starren, schwarz gekleideten Eltern Gavins vor Augen, und sie hörte die erbarmungslos endgültigen Worte des Geistlichen, die Gavin zu etwas Vergangenem werden ließen. Gleichzeitig brannten in ihr die Erinnerungen an den Jungen, mit dem sie befreundet war, solange sie denken konnte. Sie waren Nachbarskinder gewesen, hatten bereits im Sandkasten miteinander gespielt, waren zusammen eingeschult worden, hatten sich gestritten und wieder versöhnt, zusammen hinter den Johannisbeerbüschen im Garten ihre erste heimliche Zigarette geraucht und irgendwann auch gemeinsam ihre Liebe zu den Pferden und dem Reitsport entdeckt. Trotz aller Rivalitäten und auch ungeachtet anderer Freundschaften, waren sie unverändert die besten Freunde geblieben. Gavin war in Patricias Zuhause genauso selbstverständlich ein und aus gegangen wie Patricia bei den MacCauleys und für Patricia war er sehr viel mehr der Bruder gewesen als Ivan, mit dem es häufig zu heftigen Auseinandersetzungen kam.
    Und nun sollte sie so tun, als sei nichts Besonders passiert, und einfach wieder zur Tagesordnung übergehen?
    »Möchtest du nicht wenigstens mal nach Seaspray sehen?«, fragte nun Katie beinahe flehend. »Seine Zerrung ist schon viel besser, aber er ist immer noch ziemlich verschreckt. Eric kümmert sich um ihn, aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn du mal vorbeikämst. Dich kennt er doch immerhin auch gut.«
    Sie sollte Gavins Pferd besuchen? Das Pferd, das ihn getötet hatte?
    Zum ersten Mal dachte Patricia das Ungeheuerliche. Seaspray hatte Gavin umgebracht. So sicher, wie wenn der Schimmel ihn mit den Hufen erschlagen hätte. Hätte Seaspray vor dem Oxer nicht verweigert, wäre das alles nicht passiert. Dann wäre Gavin noch am Leben, dann würden sie jetzt das gewettete Eis essen und gemeinsam über irgendeinen Blödsinn lachen, wie immer.
    Sie straffte sich und blickte Katie böse an.
    »Ich werde Seaspray ganz bestimmt nicht besuchen. Ich werde überhaupt nicht mehr in den Stall gehen. Und ich will mit Pferden und Reiten nichts mehr zu tun haben.« Ihre Stimme klang blechern, sie brachte die Worte kaum heraus.
    Katie und Jennifer starrten Patricia an.
    »Das kannst du doch nicht machen«, stieß Katie erschrocken hervor.
    »Das ist doch albern«, sagte Jennifer gleichzeitig. »Was soll das bringen?« Sie rückte ihren Stuhl ganz nahe an Patricia heran und fasste sie bei der Hand. »Du willst wirklich alles hinschmeißen? Davon wird Gavin auch nicht mehr lebendig! Und glaubst du im Ernst, er würde das wollen?«
    Patricia riss ihre Hand zurück, ihre Augen funkelten vor unterdrückter Wut.
    »Was Gavin wollen würde oder nicht, das geht euch einen Dreck an! Lasst mich einfach in Ruhe, okay?«
    Jennifer zuckte zurück. Katie blickte entsetzt drein. So hatten sie ihre Freundin Patricia noch nie erlebt. Patricia konnte das nicht ernst meinen. Sie war im Moment wohl einfach zu sehr in ihrem Kummer um Gavin gefangen, das würde sich wieder geben, davon waren sie überzeugt. Also sollten sie das, was Patricia da sagte, nicht krummnehmen. Jennifer holte tief Luft und schluckte herunter, was sie im ersten Moment hatte antworten wollen.
    »Na, komm, Pat«, sagte sie versöhnlich. »Zieh dich um und komm mit uns mit. Wir gehen auch nicht in den Stall, versprochen! Wie wär’s, wenn wir in die Stadt fahren und ein Eis essen?«
    Dass das genau das Falsche war, merkte Jennifer schon, als sie es aussprach.
    Patricia wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war. »Haut endlich ab.« Sie sprach ganz leise, aber ihr Ton war deutlich. Sie beugte sich vor und drehte den Lautstärkeregler des CD-Players hoch. Dann wandte sie sich ab und vergrub ihr Gesicht unter ihren verschränkten Armen. Ihre Fingerknöchel waren weiß, so heftig krampfte sie ihre Hände zusammen.
    Jennifer und Katie schauten sich an. Dann stand Jennifer auf und auch Katie rutschte vom Bett.
    »Ruf an, wenn wir was für dich tun können«, sagte Katie leise.
    »Wir...wir sind für dich da, vergiss das nicht.« Jennifers Gesicht zeigte keinen Ärger. Nur tiefen Kummer.
    Dann gingen sie.
    Das Geräusch der sich schließenden Tür war durch die laute Musik kaum zu hören, doch
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