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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis
Autoren: Sarah Lark
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und deine Haare müssen noch ein Stück ab. Guck mal, so wie bei dem Mädchen ...«
    Die Frau auf der Zeichnung trug das Haar tatsächlich kurz und stufig geschnitten.
    »Das machen wir als Allererstes, komm!«
    Lilian hatte Ben immer die Haare geschnitten. Für einen Barbier war schließlich wirklich kein Geld übrig gewesen. Nun fuhr ihre Schere so schnell und geschickt durch Glorias spröden Schopf, dass es Gloria an die Manier der Männer aus den Schererkolonnen erinnerte. Sie wagte nicht, sich zu wehren, und natürlich konnte sie Lilian nicht von ihrer letzten »Schur« erzählen. So hielt sie innerlich zitternd still – und vermochte ihren Anblick im Spiegel dann kaum zu fassen. Ihr dickes Haar stand nicht mehr vom Kopf ab, sondern umrahmte schmeichelhaft ihr Gesicht. Die neue Frisur betonte ihre hohen Wangenknochen und die jetzt ausgeprägteren Züge. Sie ließ Glorias Maori-Erbe als exotisch hervortreten und ihr etwas breites, flächiges Gesicht schmaler wirken.
    »Apart!«, stellte Lilian zufrieden fest. »Und dann solltest du dich natürlich schminken. Hab ich dir in der Schule schon mal gezeigt, aber du machst es ja doch nicht. Bei der Hochzeit übernehme ich das. Und morgen kaufen wir erst mal ein Kleid.«
    Dieses Vorhaben scheiterte allerdings daran, dass in ganz Christchurch noch kein Charleston-Kleid zu finden war. Die Verkäufer zeigten sich sogar schockiert von den Abbildungen.
    »Schamlos!«, erklärte eine Matrone pikiert. »So was wird sich hier nie durchsetzen.«
    Gloria probierte ein paar andere Kleider – und wollte die Hochzeit am Ende am liebsten absagen.
    »Ich sehe schrecklich aus!«
    »Die Kleider sind schrecklich«, erklärte Lilian. »Meine Güte, als hätte es einen Wettbewerb gegeben, welcher Schneider die meisten Rüschen an ein Hochzeitskleid nähen kann. Du siehst aus wie eine Buttercremetorte! Nein, da muss was passieren. Hat auf Kiward Station jemand eine Nähmaschine?«
    »Du willst doch nicht selbst nähen?«, fragte Gloria entsetzt. Handarbeit gehörte zu den Unterrichtsfächern in Oaks Garden, und sie konnte sich noch gut an Lilians Machwerke erinnern.
    Lilian kicherte. »Ich doch nicht ...«
    Die einzige Nähmaschine zwischen Christchurch und Haldon befand sich im Besitz von Marama – eines der letzten Geschenke ihres Schwiegersohns William und in den letzten Jahren ständig zum Nähen einfachster Breeches und Hemden für Maramas Söhne im Einsatz.
    »Wunderbar!«, freute sich Lilian. »Das Modell wird alte Erinnerungen in ihr wachrufen. Mit so was hat sie auch das Hochzeitskleid meiner Mutter gezaubert! Kann ich gerade mal in Greymouth anrufen?«
    Glorias Hochzeit verhalf Mrs. O’Brien, Rolys nähkundiger Mutter, zur ersten Bahnreise ihres Lebens. Aufgeregt und tatendurstig traf sie zwei Tage nach Lilians telefonischem Hilferuf in Christchurch ein und zeigte sich fast so schockiert über die Abbildung in Lilians Heft wie die Verkäufer im Warenhaus. Dann schien sie die Sache jedoch als Herausforderung zu begreifen und machte sich gleich an die Auswahl des richtigen Stoffes.
    »Kann ruhig Seide sein, Kindchen, jedenfalls ein fließender Stoff, auf keinen Fall Tüll. Und diese Fransen ... kommt das aus Amerika, Miss Lily? Von den Indianern? Na ja, mir muss es ja nicht gefallen.«
     
    Als Gloria das Kleid schließlich anprobierte, gefiel es Mrs. O’Brien dann doch. Und Lilian verlangte stürmisch nach einem vergleichbaren Modell; schließlich würde sie Brautjungfer werden.
    Das Kleid verwandelte Gloria in eine ganz andere Frau. Sie wirkte größer, erwachsener, aber auch weicher und verspielter. Sie war eigentlich nie dick gewesen, aber bislang hatte sie in Kleidern stets gedrungen gewirkt. Jetzt sah sie sich zum ersten Mal im Spiegel und fand sich schlank. Sie wirbelte herum, soweit sie es auf den hochhackigen Schuhen konnte, auf denen Lilian bestand.
    »Und statt Schleier brauchst du so ein Hütchen mit Federn«, bestimmte Lily und verwies wieder auf ihre Zeitschrift. Bislang hatte sie sich nicht getraut, auch noch diesen Vorschlag zu äußern, aber jetzt zeigte Gloria sich begeistert genug. »Kriegen Sie das hin, Mrs. O’Brien?«
     
    Jack wurde immer stiller, je näher die Hochzeit rückte. Zu sehr erinnerten Elaines und Lilians eifrige Vorbereitungen an den Wirbel, den Elizabeth und Gwyneira damals um seine Vermählung mit Charlotte gemacht hatten. Immerhin floh auch Gloria vor all dem Trubel in die Ställe, während Charlotte das gesamte Drumherum genossen
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