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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis
Autoren: Sarah Lark
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Freundin Helen damals auf einer Nachbarfarm betrieb. Aber Gloria war etwas anderes. Gwyneiras sämtliche Hoffnungen ruhten auf der einzigen anerkannten Erbin von Kiward Station. Nur in den Adern Glorias und Kura-maro-tinis strömte das Blut der Wardens, der eigentlichen Gründer der Farm. Dazu stammte Kuras Mutter Marama aus dem örtlichen Maori-Stamm; Gloria wurde also auch von den Ureinwohnern anerkannt. Das war wichtig, denn zwischen Tonga, dem Häuptling der Ngai Tahu, und den Wardens bestand seit jeher eine heftige Rivalität. Tonga hoffte, das Land durch eine Heirat zwischen Gloria und einem Maori aus seinem Stamm verstärkt unter seinen Einfluss zu bringen. Diese Strategie hatte allerdings schon bei Glorias Mutter Kura versagt. Und Gloria zeigte bislang kein großes Interesse am Leben und der Kultur der Stämme. Natürlich sprach sie fließend Maori und hörte gerne zu, wenn ihre Großmutter Marama die uralten Sagen und Legenden ihres Volkes erzählte. Verbunden jedoch fühlte sie sich nur Gwyneira, deren zweitem Mann James McKenzie und vor allem ihrem Sohn Jack.
    Zwischen Jack und Gloria hatte immer schon eine besondere Beziehung bestanden. Der junge Mann war fünfzehn Jahre älter als seine Halbgroßnichte, und in Glorias ersten Lebensjahren war vor allem er es gewesen, der sie vor den Launen und dem Desinteresse ihrer Eltern beschützt hatte. Jack hatte für Kura und ihre Musik nie etwas übrig gehabt, aber Gloria mochte er vom ersten Schrei an – was buchstäblich zu nehmen war, wie Jacks Vater gerne scherzte. Das Baby pflegte nämlich lauthals loszubrüllen, sobald Kura die erste Klaviertaste anschlug. Dem brachte Jack vollstes Verständnis entgegen; er schleppte Gloria mit sich herum wie einen Hundewelpen.
     
    Inzwischen hatte nicht nur Jack den Steinkreis erreicht, auch Glorias kleine Hündin Nimue. Der Border Collie hechelte und blickte beinahe vorwurfsvoll zu seiner Herrin auf. Es gefiel der Hündin gar nicht, wenn Gloria ihr davonritt. Sie war glücklicher gewesen, bevor das pfeilschnelle Pony aus England eingetroffen war. Jetzt aber nahm sie sich zusammen und jagte gleich wieder los, als Gloria sie mit einem scharfen Pfiff auf die Schafe ansetzte, die um die Felsen verstreut grasten. Wohlgefällig beobachtet von Jack und ihrer stolzen Besitzerin, trieb Nimue die Tiere zusammen und wartete dann auf weitere Befehle. Gloria führte die Herde geschickt in Richtung Heimat.
    »Siehst du, ich hätte es auch allein geschafft!« Triumphierend strahlte das Mädchen Jack an. »Wirst du es Grandma erzählen?«
    Jack nickte ernsthaft. »Sicher, Glory. Sie wird stolz auf dich sein. Und auf Nimue!« Gwyneira McKenzie hatte mehr als fünfzig Jahre zuvor die ersten Border Collies aus Wales nach Neuseeland gebracht, dort weiter gezüchtet und trainiert. Es machte sie glücklich, Gloria so geschickt mit den Tieren umgehen zu sehen.
    Andy McAran, der steinalte Vorarbeiter der Farm, beobachtete Jack und Gloria, als diese die Schafe schließlich in den Pferch trieben, an dem er herumwerkelte. McAran hätte längst nicht mehr arbeiten müssen, beschäftigte sich aber gern auf der Farm und sattelte noch fast jeden Tag sein Pferd, um aus dem Ort Haldon nach Kiward Station zu reiten. Seiner Frau gefiel das nicht, was Andy aber nicht abschreckte – im Gegenteil. Er hatte spät geheiratet und würde sich nie daran gewöhnen, dass jemand ihm Vorschriften machte.
    »Fast wie damals, Miss Gwyn.« Der Alte grinste anerkennend, als Gloria das Tor hinter den Schafen schloss. »Fehlt nur das rote Haar und ...« Den Rest ließ Andy unausgesprochen; schließlich wollte er Gloria nicht kränken. Aber Jack hatte zu oft ähnliche Bemerkungen gehört, um Andys Gedanken nicht lesen zu können: Der alte Viehhüter bedauerte, dass Gloria weder die elfenhaft zarte Figur noch das schmale, hübsche Gesicht ihrer Urgroßmutter geerbt hatte – was seltsam war, da Gwyneira ihre roten Locken und die zierliche Gestalt an fast alle anderen weiblichen Nachkommen weitergegeben hatte. Gloria schlug nach den Wardens: kantiges Gesicht, dicht zusammenstehende Augen, scharf geschnittener Mund. Ihre hellbraunen üppigen Locken umspielten ihr Gesicht weniger als es zu erdrücken. Die wilde Pracht zu frisieren war eine Qual, und so hatte das Mädchen vor etwa einem Jahr ihr Haar in einem Anfall von Trotz abgeschnitten. Natürlich hatten alle sie geneckt, ob sie denn nun »ganz zum Jungen« werden wollte – vorher schon hatte sie gern die Breeches stibitzt,
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