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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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beobachte, wie sie sich langsam beruhigen. Ich streichle die eine Hand mit der anderen. Sie können nichts dafür, dass sie dick sind und nicht hübsch. Ich werde jetzt das tun, was Martin vorhatte. Und damit müssen sich meine Hände abfinden.
    Ich gehe den Konferenztisch entlang, öffne die Türe in die grosse Halle. x sitzt oben, er schreibt an einem der Computer, er schaut nicht auf. Ich stelle mich vor ihn hin und blicke hoch zu ihm. Meine eine Hand hält die andere ganz fest. Ich zittere nicht. Er ignoriert mich. Ich warte. Er ist in der besseren Position. Offenbar muss ich die Stille unterbrechen. Doch was soll ich sagen? »Ich bitte dich …« Nein, das werde ich nicht sagen. Er schreibt, ohne aufzublicken. So sage ich unversehens: »Du musst die Tiere freilassen – alle!«

24.
    Ohne aufzuschauen, lacht er sein meckerndes Lachen, das ich seit so vielen Jahren kenne. »Warum sollte ich das tun?«, fragt er. »Sag mir irgendeinen vernünftigen Grund, warum ich das tun soll.«
    Er blickt mich jetzt herausfordernd an, hebt dabei den Steg der Brille mit dem Mittelfinger der linken Hand etwas an, wie er es immer macht, wenn er recht hat (ich hab mir manchmal gedacht, er
glaubt
nur, recht zu haben; aber laut habe ich das nie gesagt). »Es ist nicht recht«, ich spüre, es klingt hilflos, kindisch. »Nicht recht?« Ich amüsiere ihn. »Alles, was du hier siehst, ist vollständig legal.« Er seufzt. »Vielleicht wäre es gut, einmal etwas Illegales zu machen, es wäre eine Abwechslung, nicht immer das gleiche, langweilige Zeug. Aber das hier«, er hebt seine rechte Hand wie ein römischer Triumphator, »da muss ich dich enttäuschen, ist vollständig legal.«
    Ich blicke auf meine hässlichen Hände, die linke Hand umfasst die rechte, der Ehering sieht farblos aus. Es ist wie immer. Er verdreht meine Worte und bleibt der Gewinner. Aber dann blicke ich auf. Ich schaue in sein Gesicht, dort, wo die Brillengläser sind, müssen die Augen sein.
    »Es ist nicht moralisch«, sage ich. Er öffnet den Mund, darum füge ich rasch hinzu: »Es ist nicht christlich!«
    Jetzt lacht er los. Er prustet und schnauft »Nicht christlich!«, mein Argument freut ihn wirklich, »was meinst du denn, sei nicht christlich?«
    Auf die Frage nach dem Warum habe ich mich vorbereitet. Während des Kochens, des Essens und Abwaschens habe ich darüber nachgedacht, habe mit ihm in meinem Kopf diskutiert, immer hat er »warum?« gefragt, und darauf kann ich jetzt antworten. »Es ist unrecht, Wesen, Geschöpfe, gefangen zu halten – auch wenn es keine Menschen sind.« Es tönt wie auswendig gelernt und irgendwie selbstgerecht.
    Er lacht von Neuem. Das Argument macht ihm Spass. Er klopft sogar Beifall auf die Tischplatte vor ihm. »Du meinst, das sei nicht christlich?« Ich nicke, etwas verunsichert. Er strahlt: »Jesus sagt
nicht
, man solle die Gefangenen freilassen. Jesus sagt, man solle sie
besuchen
. Du
hast
sie besucht. Du darfst sie auch jederzeit wieder besuchen!« Er starrt mich herausfordernd an. Ich schweige. Er sagt noch etwas davon, dass Gott gemeint habe, die Menschen sollten sich die Erde untertan machen, Gott persönlich habe das gesagt. Ich entgegne nichts, aber ich schaue ihm in die Augen, das heisst, ich schaue in die Brille – dahinter müssen seine Augen sein. Früher wäre ich aufgestanden und aus dem Raum gegangen, jetzt schaue ich auf seine Brille – er sitzt deutlich höher als ich, er stiert auf mich herab und freut sich.
    Aber dann wird es ihm langweilig, weil ich nichts sage. »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagt er nach einer längeren Pause. »Du kannst alle Tiere befreien, alle, stell dir das vor – obwohl das Blödsinn wäre, sie würden verhungern, was wollten diese vielen tausend Tiere in der sogenannten Freiheit – wenn …«, er dehnt das Wort genüsslich, »wenn du mir mit der Bibel beweisen kannst, dass dieses Freilassen der Tiere dem Willen von Jesus oder auch, wenn du willst, dem Willen von Gott, entspricht.« Ich schaue die ganze Zeit über auf seine Brille. Er fügt noch hinzu: »Du hast eine halbe Stunde Zeit!«
    »Ich habe keine Bibel hier!«
    Es ist ein Spiel für ihn, er will mir wieder einmal seine Überlegenheit beweisen. »Komm zu mir!«
    Ich setze mich auf die hohe Stufe, ziehe mich langsam, mühsam hoch. Er sagt, ich solle mich an einen seiner Computer setzen und den Bibelserver einstellen. »So. Jetzt kannst du suchen. Du hast eine halbe Stunde Zeit.«
    Ich sehe in sein mir jetzt nahes,
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