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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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da sein. In der Küche mache ich mir etwas zu essen; die mattschwarze Kaffeemaschine, die ausgezeichneten Kaffee produziert, habe ich gestern übersehen, so gut ist sie optisch in die Küche integriert. Ich verlasse eine aufgeräumte Küche und bin kurz vor neun in der zentralen grossen Halle. x ist da, wo ich ihn erwartet habe.
    Am Vormittag kann man sein Gesicht besser erkennen. Das hängt mit den Lichtverhältnissen zusammen. »Komm her«, sagt er.
    Ich stelle mich vor ihn hin; da sein Büro sich auf einer Plattform befindet, muss ich zu ihm hochschauen. Ich blicke in die eckige Brille, die Augen kann ich jedoch nicht sehen.
    Er sagt: »Ich habe einige Tiere erschossen. Hol sie raus!«
    Ich verstehe ihn nicht. Ich frage: »Wie bitte?« Wie soll das möglich sein, wie stellt er sich das vor?
    Er weist angewidert auf einen der Apparate: »Damit natürlich!«
    Ich verstehe immer noch nicht. Und so erklärt er, dass er früher einmal begeisterter Jäger gewesen sei. Und dass er jetzt, da er nicht mehr im Wald jagen könne, sich das Recht auf diese Freude nicht nehmen lasse. Seine rechte Hand liegt auf der Computermaus, mit der linken winkt er mich zu sich. Es ist eine hohe Stufe zu bewältigen; ich wuchte mich hoch Er macht das wohl mit einem Lift, aber für mich gibt es keinen Lift. Dann stehe ich neben ihm. Er zeigt auf einen der grossen Bildschirme vor ihm. Ich sehe Wald, Kiefernwald, seine Hand, die auf dem Pult liegt, bewegt die Maus, und auf dem Bildschirm verändert sich die Perspektive. Es ist, als würde man im Tannenwald herumspazieren. Die Baumstämme sind leicht bemoost, der Boden scheint mit Nadeln bedeckt.
    »Da!«, sagt der Mann neben mir. Hinten im Bild bewegt sich etwas. Ich schaue genauer hin: Es ist ein Reh – oder ein Rentier … wir sind ja im Roten Norden. x bewegt die Hand mit der Maus; seine Bewegung kratzt etwas auf der Tischfläche. Auf dem Bildschirm wandert ein weisses Kreuz hin und her. Es findet das Reh – das Rentier, er kreuzt es durch.
    »So geht das«, sagt er, »ich müsste jetzt nur den Knopf drücken, aber das lasse ich, ich habe ja heute meinen Spass gehabt.« Er schaut nach oben, blickt mich an, zwinkert. »Du sollst die beiden holen, die ich heute früh erschossen habe. Es ist nicht gut, wenn sie vergammeln.«
    Ich fange an zu verstehen. Ich weise auf den Bildschirm und sage: »Das« – und jetzt zeige ich auf das Fenster hinter mir – »ist das?«
    »Endlich!« sagt er.
    »Es ist eingehagt«, sage ich, und ich merke, wie jämmerlich eifrig meine Stimme tönt, »die Tiere können gar nicht weg, du hast sie eingeschlossen, und dann erschiesst du sie mit deinem Computer?«
    Er sagt: »Bravo!«
    Ich kenne diesen Ton. Er bedeutet soviel wie »Sogar jemand Dummes wie du hat es schliesslich kapiert!« Ich starre immer noch auf den Bildschirm. Das Reh oder Rentier ist unterdessen unter dem Mauszeiger weggeschritten. Wie ist das möglich, dass man so auf Entfernung töten kann? Aber wieso eigentlich nicht? Mit dem Kaspar, den ich gekannt habe, habe ich im Fernsehen Filme gesehen, in denen Männer durch Zielfernrohre, die an Gewehren befestigt waren, geschaut haben, und wenn das, was sie erschiessen wollten, im Zentrum des Fadenkreuzes war, haben sie geschossen. Das Reh oder Rentier ist jetzt ausserhalb des Bildschirms, aber das bedeutet nichts. Es ist eingeschlossen.
    »Ich habe keinen Mantel, keine Jacke«, sage ich.
    »Unten gibt es eine Garderobe«, antwortet er. »Du findest, was du brauchst. Auch Schuhe.«
    Ich nicke. Ich setze mich an die Kante seines Podestes, lasse die Beine hängen und mich dann hinabgleiten. Es sieht sicher plump aus. Ich weiss, dass ich schwerfällig aussehe. Ich gehe die Treppe hinab. Neben dem Zimmer, in dem ich übernachte, springt eine weisse Türe auf. Es ist eine Art begehbarer Schrank, Mäntel, Jacken, Hosen hängen da an Bügeln; auch Stiefel in verschiedenen Grössen stehen da. Ich wähle eine warme braune Steppjacke und ein paar Stiefel, die passen.
    Erst als ich draussen stehe, dringen die langen Reihen der Käfige wieder in mein Bewusstsein. Wie habe ich sie vergessen können? Ich mache einige Schritte auf die Käfige zu, blicke in den vordersten hinein. Vier kleine Tiere bewegen sich unaufhörlich in einem kleinen vergitterten Kubus. Sie schreien, sie steigen am Gitter hoch. Ob sie frieren? Ich höre sie alle, aber ich will sie nicht hören, ich will sie nicht sehen, ich drehe mich um, ich gehe rasch das Gebäude entlang, gehe um das Gebäude
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