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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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Arbeit anfangen.«
    »Danke«, murmle ich. Ich drehe mich um, ich spüre, dass er mir nachsieht, wie ich zur Treppe gehe, und versuche, aufrecht zu gehen. Ich halte mich am Treppengeländer und taste mich Stufe für Stufe nach unten, denn nun ist die untere Halle nicht erhellt. Als ich am Fuss der Treppe bin, schaltet sich das Licht ein, und eine weisse Türe springt auf. Es ist das Zimmer für Besucher, in das ich trete. Fensterlos und weiss ist es; ich sehe einen Tisch, einen Stuhl, ein Bett, eine Nasszelle. Ich lasse die Türe zur Halle einen Spalt offen, weil mich die Enge und die mögliche Luftlosigkeit dieses Raums ängstigen, ich ziehe die Schuhe aus, lege meine Brille auf den Tisch. Ich lege mich auf das Bett, decke mich zu und schlafe unmittelbar darauf ein.

22.
    Als ich erwache, wird der Raum nur noch durch die kleine Leuchtstoffröhre in der Nasszelle erhellt. Ich rapple mich hoch. Ich fühle mich wie zerschlagen. Vor dem Lavabo erkenne ich nach einem Blick auf die Uhr, dass es bereits neun ist. Ich sollte doch arbeiten! Ich schaue in den Spiegel oberhalb des Lavabos. Ich sehe furchtbar aus. Aber da ist nichts zu machen. Ich wasche die Hände mit Seife, kämme die Haare mit den Fingern. Ich ziehe die Schuhe an; meine Füsse sind geschwollen. Ich erwäge, in Strümpfen nach oben zu gehen, verwerfe aber diesen Gedanken wieder. Dann schiebe ich die Zimmertüre weit auf, damit ich erkennen kann, wo die Treppe nach oben ist. Doch die Treppe lässt sich gut lokalisieren, da dringt Licht von oben herunter. Ich steige sie hoch, jeder Schritt tut weh, und oben an der Treppe drehe ich mich um.
    Ich habe x erwartet, habe erwartet, dass x da sitzt, wo er gestern gesessen hat. Doch der helle grosse Raum ist leer. Auch gut. Nein, besser so. Ich wende mich nach rechts. In diese Richtung hat er gestern gezeigt: Dort liege die Küche. Ich finde die Türe in der weissen Wand und öffne sie. Nicht die Küche befindet sich dahinter, sondern eine weitere grosse helle Halle. Im Zentrum dieses Raums steht ein langer ovaler Tisch mit Stühlen. Unter den Fenstern befinden sich lange Beistellmöbel. Ist das ein Esszimmer? Ein Konferenzraum? Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums erkenne ich eine weitere Türe. Aber auch sie führt nicht in eine Küche, sondern in einen hellen, leeren Zwischenraum, dem auf beiden Seiten je ein hohes Fenster Licht gibt. Von den drei Türen an der gegenüberliegenden Wand sind zwei beschriftet: die mittlere trägt das Schild
garde-manger
und die linke Türe ist mit
cuisine
beschriftet. Warum französisch? Merkwürdig, aber immerhin sind das Wörter, die ich – im Gegensatz zu der Sprache des Roten Nordens – verstehen kann, und so gehe ich auf die linke Türe zu und öffne sie.
    Ich pralle zurück. Die Küche ist nicht hell, wie ich erwartet habe, sie ist schwarz und von einem ungeheuren Summen erfüllt. Das einzige Fenster des Raums ist mit einem Fliegenteppich bedeckt, sodass kaum Licht in die Küche dringt. Die Helligkeit, die durch die geöffnete Türe in den Raum hineinfliesst, lässt mich erkennen, dass auch in der Luft grosse Fliegen sind. Ich schliesse die Türe hastig, einige der Fliegen haben mich beinahe schon erreicht. Nachdem ich die Türe geschlossen habe, ist dieses ungeheure Surren verschwunden, aber ich weiss: Sobald ich die Türe öffne, geht es weiter. Mein Magen revoltiert. Mir wird bewusst, dass ich schon lange nichts mehr gegessen habe.
    Ich öffne zögernd die nächste Türe, an der das Schild
garde-manger
angebracht ist. Keine Fliegen. Elektrisches Licht, das anspringt, sowie die Türe geöffnet wird. Ich sehe Regale, gefüllt mit Konservendosen, und mehrere Tiefkühltruhen. Ich schaue mich nach etwas um, was ich essen könnte – schliesslich kann ich die Dosen ja nicht mit den Fingernägeln öffnen. Endlich finde ich Schachteln mit Zwieback und Dutzende Flaschen mit Mineralwasser.
    Eine Flasche Wasser und eine Schachtel Zwieback nehme ich unter den Arm; ich schliesse die Türe, gehe durch den Vorraum zurück in den Konferenzraum und setze mich an den langen Tisch. In einem der Beistellmöbel befinden sich Gläser. So sitze ich ganz allein am Konferenztisch und frühstücke. Ich denke nach. Ich stehe auf, hole mir eine zweite Flasche und eine zweite Zwiebackpackung, setze mich wieder. Ich muss das Problem, das mir die Küche stellt, lösen. Und Martin wartet draussen. Eigentlich weiss ich nicht einmal, was er hier bei x erledigen wollte, was es war, wobei ich ihm
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