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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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helfen sollte. Was ich weiss, ist, dass die Küche mit Hunderten (oder sind es Tausende?) von Fliegen angefüllt ist. Ich schaue auf meine geschwollenen Hände. Wenn ich den Ehering abziehen könnte, würde ich es tun, doch er steckt fest.
    Wenn ich ein Blatt Papier hätte, würde ich mir Notizen machen. (Wie soll ich vorgehen? Was ist mein Problem?) Aber meine Handtasche ist ja im Auto, und das ist weit weg. Nachdem ich zwei Schachteln Zwieback gegessen habe, fühle ich mich etwas besser. Ich beschliesse jetzt, die Küche in den Zustand einer üblichen Küche zu versetzen. Aber wie? Ich erinnere mich daran, dass ich vor ein paar Tagen die Fruchtfliegen in Tante Sophies Küche bekämpft habe, und lächle.
    Ich schliesse die Augen. Ich sehe mich in der kleinen alten Küche mit den verdreckten Konfitüregläsern hantieren. Ich bin zuversichtlich gewesen, damals. Wenn ich an die Küche denke, die ich jetzt säubern soll, bekomme ich Angst. Ich habe gedacht, dass ich Kaspar entronnen sei, dass ich ihn hinter mir gelassen habe, im Roten Norden. Aber hier ist er wieder, und nun noch mächtiger und gewaltiger. Und die Möwen kommen mir in den Sinn, die Möwen im Hotel in Imalo, die geflogen sind und dabei doch nie von der Stelle gekommen sind. Ich stehe auf. Es bringt nichts, das Öffnen jener Tür weiter aufzuschieben. Ich lasse Schachteln, Glas und Flaschen auf dem Tisch stehen, ich werde beide Hände brauchen, wenn ich in der Küche bin.
    Ich öffne die Küchentüre nur einen Spalt, nur so viel, dass ich mich hineinschieben kann, und schliesse sie wieder. Die Küche ist noch finsterer als ich erwartet habe, und angefüllt mit diesem dunklen Summen. Überall sitzen die Fliegen. Ich schliesse die Augen. Ich merke, dass die Fliegen auch auf mir sind, ich gehe zum Fenster vor und versuche, es zu öffnen. Es lässt sich nicht öffnen.
    Ich zerre und rüttle am Fenstergriff, der Geräuschpegel der ununterbrochen zeternden Fliegen wird, scheint mir, immer höher; meine Hände, die ich durch die halbgeöffneten Lider sehe, sind schwarz von Fliegen, auf meinen Wangen spüre ich sie, sie kriechen unter die Brille. Plötzlich schaffe ich es, das Fenster mit einem Ruck zu öffnen. Die Fliegen erheben sich als Wolke von den Fensterflügeln und stehen in der Luft. Aber sie bleiben in der Küche; ich lehne mich aus dem Fenster, wische mir mit den Händen übers Gesicht, nehme die Brille ab und fahre mir über die Augen. Ich setze die Brille wieder auf und erkenne den dichten Kiefernwald, den ich schon gestern von der Kuppe des Hügels aus gesehen habe. Ein Streifen von etwa dreissig Metern ist zwischen dem Haus und dem Wald gerodet. Und über dem Wald ist der Himmel wieder blau, wie er gestern war und vorgestern, wie er offenbar fast immer ist im Roten Norden. Ich öffne die Fensterflügel weit, damit frische Luft in die Küche strömt; ich sehe nun deutlich, dass überall, überall Fliegen sitzen, Fliegen summen in der Luft, und der Küchenboden ist bedeckt mit toten, reglosen Fliegen.
    Ich sitze auf dem Fensterbrett, lehne mich so weit es geht nach draussen und betrachte diese Küche. Sie ist schwarz. Sie ist nicht nur wegen der Fliegen schwarz, sondern weil ein Designer eine schwarze Küche eingerichtet hat. Die Unterschränke sind schwarz, die Oberschränke sind schwarz – es ist ein stumpfes Schwarz –, die Griffe und die Abdeckungen sind silbergrau. Ich schiebe mit dem Fuss tote Fliegen beiseite und entdecke, dass der Küchenboden auch schwarz ist, allerdings glänzend schwarz. Diese toten Fliegen … Ob ich da nicht etwas tun könnte? Ich inspiziere von meinem Platz am Fenster aus die einzelnen schwarzen Schränke, mein Hausfrauenwissen sagt mir, dass sich in einem dieser Schränke möglicherweise ein Staubsauger befindet. Ich gehe vom weit offenen Fenster auf diese Schränke zu (jetzt erst bemerke ich, wie sich die toten Fliegen unter meinen Schuhsohlen anfühlen); und öffne einen Schrank nach dem anderen. Im letzten (warum ist es immer die falsche Reihenfolge, denke ich) steht tatsächlich ein grosser weisser Staubsauger; seine glatte Oberfläche reflektiert das Licht. Es sind auch Staubsaugerbeutel in (noch unberührten) Kartonschachteln vorhanden und Müllsäcke in grossen Rollen. Zumindest den Boden kann ich also säubern.
    Ich finde die Steckdose sofort und mache mich daran, den Boden zu saugen. Was für ein wundervoller Staubsauger! Er arbeitet leise und effizient; mir scheint, als polierte er gleichzeitig noch den
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