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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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Sweatshops gesprochen wurde, die Fahrt, der furchtbare Aufstieg auf den Hügel. Ich stehe vor der weissen Türe. Sie ist aus Stahl, glatt und weiss gespritzt und hat in der Mitte eine fast unmerkliche Rille. Das ist wie bei einer Lifttüre, denke ich, genau da wird sie sich öffnen. An der rechten Seite ist eine (ebenfalls weiss gespritzte) Gegensprechanlage angebracht. Ich schlucke, dann drücke ich auf den Knopf. Ich warte. Ich schiebe meinen Jackenärmel hoch und schaue auf die Uhr. Nach einer Minute drücke ich nochmals auf den Knopf. Nach dreissig Sekunden raschelt es im Lautsprecher. Eine Stimme sagt: »Ja?« Was soll ich sagen? Ich erinnere mich an Martins Anweisung und sage nach einer winzigen Pause: »Ich möchte Arbeit!«
    »Ich brauche niemanden!«, höre ich die Stimme sagen.
    Die Antwort verärgert mich. »Ich will aber bei Ihnen arbeiten!«, rufe ich. Ich bin selber erstaunt, dass ich mich ärgere, weil x meint, er brauche mich nicht.
    »Ich brauche niemanden«, wiederholt die Stimme. »Sie!«, rufe ich, »Sie brauchen mich!« Und ich haue mit der rechten Faust gegen die Stahltüre. »Sie brauchen mich! Ich kann viel!« Ich warte. Die Hand, mit der ich gegen die Türe geschlagen habe, tut weh. Wir warten.
    Unvermittelt stöhnt die Stimme, sie räuspert sich, dann spricht sie langsam: »In Ordnung. Du kannst reinkommen.«
    Die Türe schiebt sich langsam auseinander, ich gehe auf sie zu, ich spüre Martin hinter mir, ich gehe hindurch und spüre die beiden Teile der Türe an meinen Armen, weil sie sich nur wenig geöffnet hat. Da schlägt sie zu, sie klemmt noch einen Zipfel meiner Jacke ein. Martin ist draussen, und ich bin drinnen.
    »Martin!«, rufe ich. Ich schlüpfe aus meiner Jacke, die nun sinnlos herunterhängt (von innen ist das Tor nicht weiss sondern schwarz wie die Mauer).
    Ich höre seine Stimme verzerrt: »Sophie! … Sophie!« Ich stehe da, im Pullover, vor dieser Türe, an der meine Jacke hängt, und draussen ist Martin, dessen Ziel es ist, hier hereinzukommen – und er kann nicht hereinkommen. Ich höre ihn nochmals »Sophie!« rufen. Seine Stimme ist entstellt durch die Stahltüre, und doch höre ich, wie verzweifelt er ist.
    »Martin«, rufe ich, »warte auf mich! Ich schaffe es allein, ich schaffe es für dich, aber warte auf mich!« Er sagt nichts. »Martin, hörst du mich?«
    »Ja«. Seine Stimme ist leise.
    Ich lehne mit der Stirne gegen die kalte schwarze Türe. »Ich gehe jetzt, Martin.« Und da er nicht antwortet, rufe ich: »Ich denke immer daran, dass du auf mich wartest.« Ein ganz feines Zittern an der Türe. Wahrscheinlich hat er dagegengeschlagen. Schliesslich vernehme ich: »Ich warte.«
    »Danke!«, sage ich, so laut ich kann. Ich wende mich um und schaue nach vorne.
    Was von oben wie metallene Streifen ausgesehen hat, sind scheinbar endlose Reihen von überdachten metallenen Gitterkäfigen. Dazwischen, weit vorne, liegt das Gebäude, in dem ich x finden werde.
    Ich ziehe an meiner Jacke, doch das Tor hält sie fest. Es ist sonnig, aber nicht warm, und ich muss jetzt ohne Jacke zu x gehen, der mir Arbeit geben wird. Ich verschränke meine Arme und gehe zwischen zwei Metallkäfig-Reihen durch. Sie sind in rechteckige Fächer eingeteilt. Darin bewegen sich kleine Tiere: Wiesel? Marder? Es stinkt, und die Tiere fiepen unaufhörlich. Ich gehe weiter. Ich gehe und gehe, ich höre die Tiere, und auch wenn ich stur vorwärtsschaue, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie sie sich ständig bewegen. Alle Käfigreihen enden vor dem Gebäude.
    Das Haus erscheint mir sehr gross. Es wird durch vorspringende vertikale Betonträger gegliedert. Im oberen Stock hat es zwischen diesen Betonträgern zurückgesetzte grosse Fenster in grauen Rahmen, im unteren Stock ist auf der zurückgesetzten Ebene nur die glatte Betonwand ohne jedes Fenster. Ich stehe vor dem Gebäude, die Käfigreihen sind hinter mir, ich spüre sie, aber ich will mich auf das Haus vor mir konzentrieren: Wo ist eine Türe?
    Dann sehe ich sie. Zwischen den beiden zentralen Betonträgern ist die graue Fläche nicht ganz glatt. Ich gehe darauf zu. Ein Türknauf. Am Betonträger daneben die Gegensprechanlage, die zu erwarten war. Ich löse meine Arme voneinander und schaue auf den Klingelknopf. Es fröstelt mich; wenn ich nach hinten schauen würde, wäre die Sonne wohl untergegangen. Ich drücke auf den Knopf.
    Die bekannte Stimme sagt sofort: »Ja?«
    »Ich bin jetzt da«, erkläre ich. »Sie haben mir das hintere Tor
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