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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen
Autoren: Emile Zola
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Verehrung dauerte nur kurze Zeit und hörte ganz plötzlich auf – ich weiß nicht warum. Ich gebe immer einem kleinen Bild der heiligen Maria Maddalena de' Pazzi die Schuld, das das Kammermädchen meiner Mutter besaß und das ich so schrecklich fand, daß ich vor diesem ›kleinen Monster‹ nicht ernst bleiben konnte. So hörte also meine Bewunderung für die Jungfrauen und Heiligen auf und ich kehrte zurück zur reinen Mythologie. Ich wurde fast zu einem Götzenanbeter, kaufte mir eine kleine Venus-Statue, um vor ihr Weihrauch zu verbrennen und ihr jeden Morgen einen Blumenstrauß zu bringen.
    Nach einiger Zeit spürte ich, wie sich in mir ein neues Leben regte. Ich wurde ganz unruhig, meine Phantasie zeigte mir die schönsten Bilder und hielt mich nächtelang wach. Ich las alles, was mir in die Hände fiel, und verschlang die großen Romane aus der Bibliothek meines Vaters. Das neue Lebensgefühl entflammte mich aufs schönste, und ich war so begeistert und erregt, daß sich alle um mich herum verwunderten. Ich redete ständig drauf los, ohne zu überlegen, und fiel in diesem Aufruhr frühreifer Jugend ohne erkennbaren Grund von den kühnsten Gedanken und der allergrößten Begeisterung in große Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Ich weinte oft, wenn ich allein war, und flüchtete mich, um Trost zu finden, in eine imaginäre Welt.
    Meine Leidenschaft für schleppende Roben dauerte an, und wenn ich allein war, stellte ich mir meine Mutter vor und schritt dann einher, wobei ich hinter mir Bettücher oder alte Schultertücher herzog, die in langen Falten von mir herabfielen und deren Rauschen mich vor Freude erzittern ließ. Ich hatte stets den Wunsch, mich in lange Schleier zu kleiden, und diese Leidenschaft, die mich auch nach meiner Kindheit nicht ganz verlassen hatte, erfaßte mich wieder aufs schönste.
    Als eines Tages eine Freundin meiner Mutter im Scherz zu mir sagte, daß man bei mir die ersten Barthaare sprießen sehen könnte, hätte ich sie fast erwürgt, so sehr empfand ich diese Unterstellung als Beleidigung und so sehr schmerzte mich diese Neuigkeit. Ich lief schnell zu einem Spiegel und war sehr froh, daß meine rosige Oberlippe noch ohne diesen fürchterlichen Flaum war, der mir solchen Schrecken einjagte.
    Mit aller Phantasie und allem Schönheitssinn, über den ich verfügte, gefiel ich mir darin, mich in eine Frau zu verwandeln, und die Abenteuer, die ich im Geiste durchlebte, ließen mich vor Vergnügen erzittern.
    Mit dreizehn Jahren war ich immer noch völlig unschuldig, hatte ich keine Vorstellung von der Vereinigung der Geschlechter und von den Unterschieden, die zwischen ihnen bestehen. Das mag bei einem Kind, das sonst für sein Alter so weit entwickelt war, erstaunen, aber es war wirklich so. Ich lebte zu sehr im Gefühl und in der Phantasie, zielte zu sehr auf alles Ideale, um die Dinge um mich herum wahrzunehmen.
    Ein Hausbursche von 15 Jahren hat schließlich meiner Unschuld ein Ende gesetzt. Es geschah bei einem Aufenthalt in einem Badeort, wohin alle Bediensteten mit uns gekommen waren. Ich ging häufig in die Pferdeställe und redete und spielte dabei gern mit einem Jungen in meinem Alter, mit dem ich auch zuweilen im großen Garten herumrennen durfte. Durch diesen Burschen, der mir alles erzählte, was er wußte, wurde ich bald aufgeklärt. Als ich hörte, wie Kinder entstehen, war ich entsetzt und empfand einen großen Widerwillen gegen meine Eltern, die sich nicht geschämt hatten, mich auf diese abscheuliche Art zu zeugen.
    Diese Gespräche machten mich sehr ärgerlich. Wenn ich auch mit Gaben des Geistes zum Glück sehr gut, vielleicht zu gut, ausgestattet war, körperlich war ich es weniger. Mit dreizehn Jahren war ich noch nicht zum Mann geworden.
    Dieser junge Bursche hat sich mehrmals vor mir befleckt, und obwohl ich darauf brannte, es ihm gleichzutun, und erhitztes Blut durch meine Adern rann, gelang es mir nicht einmal, als ich wieder allein war.
    Der Bursche wurde bald entlassen, und wenn ich seinen Unterricht auch nicht vergaß, so dachte ich doch nicht sehr oft daran. Was mich am meisten erstaunte, war, daß er immer davon sprach, mit nackten Frauen zusammenzuliegen und was er dann mit ihnen macht, denn ich spürte überhaupt kein Verlangen, dies mit einer Frau zu tun, sondern hätte es ganz natürlich empfunden, mit einem Manne zusammenzuliegen. Es erschien mir sehr unpassend, merkwürdig und unangebracht, mit einer Frau zu schlafen, der ich doch so sehr
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