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Der Ripper - Roman

Der Ripper - Roman

Titel: Der Ripper - Roman
Autoren: Heyne
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schließlich einen Kuss auf die geschwollene Wange. »Also gut. Dann ab mit dir.«
    »Auf geht’s, Master Bentley.«
    Mit aller gebotenen Höflichkeit verabschiedete ich mich von Tante Maggie und eilte zurück zur Kutsche.
    »Könnten wir den Weg über die Polizeiwache in der Leman Street nehmen?«, fragte ich Daws.

    »Ah, kann ich nich machen. Daws hat’s versprochen, und was er verspricht, das hält er auch.«
    »Aber du bist doch mein Freund?«
    »Das hoff ich doch sehr. Und’nen Freund bittet man nich, sein Wort zu brechen, oder?«»Wohl nicht«, grummelte ich und stieg ein. Wie zuvor schaukelte der Einspänner, als Daws auf den Sitz kletterte, aber diesmal fuhr er ganz langsam an. Wir rollten los.
    Ich würde mich nicht wie ein Gefangener nach Haus kutschieren lassen, da konnte Tante Maggie anstellen, was sie wollte.
    Ich war aufgebrochen, um Onkel William zu holen, und genau das hatte ich auch vor.
    Wie John McSween später zu sagen pflegte: »Du tust das, was du für das Richtige hältst, und zum Teufel mit jedem, der sich dir dabei in den Weg stellt.« Obwohl es noch einige Zeit dauern würde, bis ich John kennenlernen sollte, gingen mir in diesem Augenblick ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf, während Daws die Droschke wendete.
    Und so sprang ich einfach aus der fahrenden Kutsche, rannte in einem Schwung die Straße entlang und raste um die nächste Ecke.
    Ich rechnete damit, dass Daws mich verfolgen würde, und genau das tat er auch. Blossom trabte mit der ratternden Kutsche vorbei, von deren Fahrersitz aus Daws nach mir Ausschau hielt. Gut im Dunkel der Gasse verborgen sah ich ihnen nach.
    Bald waren sie verschwunden. Ebenso wie Mutters Schirm, den ich im Eifer meiner Flucht zurückgelassen hatte. Aber er war in guten Händen. Als die ehrliche Haut, die er war, würde Daws ihn zu Haus abgeben.

    Ziemlich stolz auf meine Tollkühnheit, schlich ich mich aus dem Gässchen zurück zur Guilford Street und marschierte in östlicher Richtung weiter.
    Mit dem Selbstvertrauen, das meiner Jugend und Unwissenheit entsprang, bezweifelte ich keinen Augenblick lang, dass ich das Polizeirevier in der Leman Street und damit meinen Onkel William finden würde.

3
    Ich und die Unglückseligen
    Die Straße brachte mich auch planmäßig nach Holborn. Ich ging so schnell, dass mir richtig warm wurde, obwohl ich bis auf die Haut durchnässt war.
    Jedes Mal, wenn ich das Verlangen verspürte, langsamer zu werden, rief ich mir Mutter ins Gedächtnis, die mit Barnes allein war, vielleicht aus dem Fenster blickte und sich fragte, warum ich noch nicht mit Onkel Bill wieder da war. Barnes würde ihr nichts antun können, nicht mit den Fesseln. Vielleicht würde er sogar bis zum Morgen seinen Rausch ausschlafen. Aber Mutter würde sich Sorgen machen. Umso mehr, wenn Daws sie besuchen und ihr von meinem Ausflug erzählen würde.
    Als ich die Newgate Street erreichte, kam mir für kurze Zeit sogar der Gedanke, eine Kutsche anzuhalten und nach Hause zu fahren. Aber verflixt nochmal, mein Stolz wollte es nicht zulassen. Ich war losgezogen, Onkel Bill zu holen, und genau das würde ich auch tun.
    Noch bevor es mir richtig bewusst war, passierte ich die Säulen vor der Londoner Börse und kam zur Cornhill Street.
    Die Cornhill Street führte in die richtige Richtung, aber kurz darauf fand ich mich in einer mir unbekannten Gegend wieder. Leadenhall Street? In meinem ganzen Leben war ich noch nie so weit östlich gewesen. Aber nach Osten wollte ich.

    Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir nur eine Handvoll Menschen begegnet. Aber das änderte sich. Je weiter ich kam, desto mehr tauchten auf. Sie waren auf den Straßen, saßen in den Hauseingängen der Mietskasernen, kamen aus den Pubs und Varietés gestolpert, lehnten an Laternen, lauerten in dunklen Gassen. Es war ein trauriger Haufen.
    Ich sah kleine Kinder und viele Jugendliche meines Alters. Einige liefen ziellos umher wie streunende Hunde. Andere spielten Fangen. Keiner von ihnen hatte Schuhe oder gar einen Mantel; sie alle waren in Lumpen gekleidet. Sie hätten in der Kälte und dem Regen gar nicht auf der Straße sein dürfen, aber vermutlich wussten sie keinen besseren Ort.
    Ein paar der Erwachsenen trugen Stiefel und Mantel, aber die waren in der Minderzahl. Viele Frauen schützten sich mit über den Kopf gezogenen Schultertüchern vor dem Regen. Es gab Männer, die hatten die Krempen ihrer Hüte so tief ins Gesicht gezogen, als wollten sie es verbergen. Nicht einer trug einen
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