Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ripper - Roman

Der Ripper - Roman

Titel: Der Ripper - Roman
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Schirm, so dass ich meinen verlorenen nicht misste.
    Im Gegenteil, denn schon der Schnitt meiner Kleidung verriet mich als Außenseiter. Köpfe drehten sich, als ich vorbeieilte. Leute riefen mir hinterher. Einige traten auf mich zu, aber ich legte einen Schritt zu und ließ sie hinter mir zurück.
    Ich redete mir ein, dass sie lediglich neugierig waren. Sie wollten mir nichts Böses.
    Mutter bezeichnete solche Leute gern als »Unglückselige«. Onkel Bill drückte sich in seinen Ripper-Berichten diesbezüglich anders aus. Für ihn waren diese Unglückseligen eine »gottlose Bande von Halsabschneidern, Huren,
Gesindel und Schurken, in deren Behausungen es vor Ungeziefer nur so wimmelt, die schreckliche Krankheiten verbreiten und einem mit Vergnügen für einen halben Penny die Kehle durchschneiden«.
    Vermutlich wurden Mutters Ansichten von der Güte ihres Herzens beeinflusst, während Onkel Bill durch die Natur seiner täglichen Arbeit voreingenommen war. Die Wahrheit lag wahrscheinlich irgendwo dazwischen.
    Die Menschen auf der Straße sahen sicherlich nicht so aus, als wären sie vom Glück begünstigt, aber es konnten unmöglich alle Schurken und Huren sein. Vielmehr waren es, so dachte ich mir, diejenigen, denen ihre harte und schmutzige Arbeit einfach nicht viel einbrachte.
    Trotzdem wurde mir immer unbehaglicher zumute. Vielleicht hatte Onkel Bill ja eine verzerrte Sichtweise der Dinge, aber das hieß nicht, dass er völlig im Unrecht war.
    Ich blieb wachsam.
    Wie John McSween später zu sagen pflegte: »Willy, sei auf der Hut. Besser, du entdeckst Ärger, bevor er dich entdeckt.«
    Und in genau diesem Augenblick fiel mein Blick auf ein Mädchen, das sich an eine Laterne lehnte. Ihr lockiges Haar war klatschnass und lag eng am Kopf an. Sie schien nur geringfügig älter als ich zu sein. Von dem blau geschlagenen, geschwollenen Auge abgesehen war sie recht hübsch. Sie trug ein langes Kleid, und um die Schultern hatte sie ein Tuch gelegt. Als ich näher kam, stieß sie sich von der Laterne ab und trat einen Schritt auf mich zu.
    Ich ging langsamer.
    War das etwa eine der Huren, von denen mir Onkel Bill erzählt hatte?

    Plötzlich war mir ganz heiß und unbehaglich zumute.
    Sicher war es klüger, hier schnell zu verschwinden. Auf der anderen Straßenseite lehnte ein Beinloser mit Augenklappe an einer Mauer und trank aus einer Flasche. Er hätte mir schwerlich hinterherrennen können, dennoch verspürte ich kein Bedürfnis, ihm auch nur einen Deut näher zu kommen.
    Also ging ich geradeaus weiter.
    Das Mädchen stellte sich mir direkt in den Weg. Ich blieb stehen und lächelte sie so angestrengt an, dass mir die Lippen wehtaten. Dann ging ich um sie herum, in der Hoffnung, sie zurückzulassen. Sie machte die Bewegung mit und grinste.
    »Wohin so eilig?«, fragte sie. Zumindest nahm ich an, dass sie das fragte. Es klang wie »Wohissoeilch?«. Ihr Atem stank kräftig nach Bier.
    »Ich fürchte, ich habe mich verlaufen. Ich bin auf dem Weg …« Ich zögerte. Vermutlich war es nicht sehr ratsam, eine solche Person wissen zu lassen, dass ich zur Polizei wollte. »Ich will in die Leman Street«, sprach ich weiter. »Ist das weit von hier?«
    »Also zur Leman Street willst du? Tja, dann wird dich Sue einfach mal genau dort hinbringen, oder?«
    Sobald ich begriffen hatte, was sie da gesagt hatte, machte sich ein flaues Gefühl in meinem Magen breit. »Oh, das ist nicht nötig. Wenn Sie nur so freundlich wären und mir die Richtung zeigen …«
    Sie trat einfach an meine Seite, nahm meinen Arm und wollte mich weiterzerren. Zu dem Biergestank kam jetzt noch ein süßlicher Parfümgeruch, der mir den Atem raubte.
    »Nein, das brauchen Sie nicht«, protestierte ich.

    »So ein junger Herr wie du, der würde sicher an Gesindel geraten, das dir was Schreckliches antut und dich womöglich irgendwo tot liegen lässt, und das willst du doch nicht, oder doch? Sue wird auf dich achtgeben, und mir nichts, dir nichts sind wir da, wo du hinwillst.«
    »Vielen Dank, aber …«
    »Hier entlang, hier entlang.« Sie führte mich um die Ecke.
    Die Straße, in die wir einbogen, war noch schmaler als die vorherige. Einige der Gaslaternen brannten nicht, wodurch manche Teile der Straße in völliger Dunkelheit lagen. Rechts und links waren Mietskasernen. Die Fenster waren größtenteils zerbrochen, hinter einigen brannte Licht. Menschen standen in den Hauseingängen, lehnten an den Mauern oder streiften in der Dunkelheit vor uns umher.
    Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher