Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Autoren: Ulrich Wickert
Vom Netzwerk:
anderen Fall. - Die Kugel, von der ich spreche, traf Freddy Bonfort mitten ins Herz. Bonfort, das war der Franzose,
    der das vietnamesische Lager geführt hat, in dem Gilles und sein Sohn Eric gefangen gehalten wurden. Bonfort könnte man für den Tod von Eric verantwortlich machen. Ein echtes Motiv für Gilles. Bonfort wurde vor neunundzwanzig Jahren in Lyon mit einem einzigen Schuss ins Herz getötet.«
    »Wie in aller Welt bist du darauf gekommen?«
    »Weil ich jeder Spur nachgehe. Der General hat mich zu LaBrousse geführt, LaBrousse zu Gilles, das Carnet von Gilles zu Bonfort. Wie die Personen, so können auch deren Taten zusammenhängen.«
    Nach Krabben und Fisch und einem köstlichen Boudin creole stellte das Dienstmädchen als Nachspeise eine halbe Bassignac-Mango vor Jacques.
    »Phantastisch!«, sagte er, als er einen kleinen Löffel voll von dem Fruchtfleisch gekostet hatte.
    »Ja, sie hat einen zarten und doch kräftigen Geschmack. Und man sagt ihr nach, ihre Wirkung sei alkoholisierend.«
    Sie aßen schweigend. Die Frage nach der Kugel, die Bonfort getötet hatte, war wie ein Schatten auf ihr heiteres Wiedersehen gefallen.
    Nach dem Kaffee sagte Jacques: »Ich würde gern noch einmal einen Blick in das Atelier werfen.«
    Amadee stand auf, holte den Schlüssel und führte Jacques hinüber. Die Lichter in den Bäumen rund um das Haus tauchten den Garten in ein grünes, warmes Licht. Amadee legte ihren Arm um seine Hüfte und schmiegte sich beim Gehen an ihn. Eine Wolke zog vor den hellen Halbmond.
    Im Atelier hatte sich nichts verändert. Nur der Gewehrschrank stand offen und war leer. Jacques beugte sich über die Zeichnung des Vogels Cohe und wieder bewunderte er Gilles' Kunst.
    »Gilles hatte offenbar ein präzises Auge und eine ruhige
    Hand«, sagte er, ohne von dem Blatt aufzusehen.
    »Er hat den Cohe ja nur zwei Mal gemalt. Und das im Abstand von gut zwanzig Jahren. Dies hier ist das zweite Bild«, sagte Amadee, »das erste zeige ich dir nachher. Es hängt drüben.«
    Sie umarmte ihn, und sie verloren sich in einem langen Kuss. Als sie wieder im Wohnzimmer saßen, fragte Jacques: »Weißt du, ob es Gilles war?«
    »Was?«
    »Der Bonfort erschossen hat.«
    »Nein, Gilles war es nicht...«
    »Du kannst es mir ruhig sagen, der Kugelvergleich würde nie für einen Beweis ausreichen. Mit dem Gewehr wurde schließlich neunundzwanzig Jahre lang weiter geschossen. Der Lauf hat sich natürlich leicht verändert. Außerdem ist Gilles tot.«
    »Gilles kann es nicht gewesen sein. Aber du hast fast, aber auch nur fast Recht: Es war nämlich nicht Gilles. Es war sein Sohn Eric.«
    »Eric?« Jacques fuhr wie elektrisiert auf: »Ich denke, der ist im Lager in Vietnam gestorben. Und wo ist er jetzt?«
    »Er ist tot. Wir haben ihn doch neulich beerdigt.«
    Amadee stand auf und begann im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.
    »Die Geschichte ist ganz einfach: Vater Gilles ist im Lager gestorben. Sohn Eric hat überlebt Nachdem der Sohn aus vietnamesischer Gefangenschaft entlassen worden war, hat er sich die Identität des Vaters übergestülpt. Die entscheidende Rolle hat dabei das Carnet seines Vaters gespielt. Gilles glaubte, sein Sohn sei bei dem Arbeitseinsatz gestorben. So hat er es im Carnet aufgeschrieben. Das hast du ja gelesen. Aber Eric war nur schwer krank und von seinen Mitgefangenen als Sterbender bei vietnamesischen Bauern zurückgelassen worden. Die haben
    ihn gesund gepflegt. Als Eric einige Monate später ins Lager zurückkam, war sein Vater Gilles tot. Was ja auch nicht verwundert, wenn man bedenkt, was Gilles alles erlitten hatte.«
    Amadee blieb kurz vor Jacques stehen, als könnte sie ohne sein Einverständnis nicht weitersprechen. Erst als er nickte, setzte sie ihren Bericht fort.
    »Als die Gefangenen nun einige Monate nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands 1954 entlassen wurden, sahen selbst zwanzigjährige Soldaten wie fünfzig- oder sechzigjährige Männer aus. Der Schock hat Eric wochenlang verstummen lassen, und sein Haar ist unter der psychischen Belastung völlig erbleicht. Das kennt man ja auch aus anderen Fällen. Eric sprach nicht, er hörte nicht, er stierte nur vor sich hin. Und weil die Sanitäter im französischen Militärkrankenhaus in Erics karger Habe nur das Carnet seines Vaters Gilles fanden und er wie ein gebrochener alter Mann wirkte, dachten sie, er sei Gilles Maurel, und stellten die Krankenpapiere auf ihn aus.«
    Amadee hat als Sechzehnjährige bei langen Spaziergängen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher