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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Autoren: Ulrich Wickert
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das Gesicht ab. Er fühlte sich blass und kränklich, mit fiebrigem Schweiß auf Oberlippe und Stirn. Loulou drückte ihn auf einen Platz am Ende der letzten Bank zum dunklen Wald hin, Jacques nickte, aber niemand am Tisch erwiderte den Gruß, und wen auch immer er anblickte, der hatte sich schon längst abgewandt.
    Mitten auf dem Tanzplatz stand, allein und in Gedanken versunken, eine Kreolin: Amadee, die Witwe. Aber wie eine Hinterbliebene sieht sie wirklich nicht aus, dachte Jacques wieder, als er sie prüfend beobachtete. Statt Trauer strahlte sie Wärme und Gelassenheit aus, vielleicht sogar ein wenig Lebensfreude. Jacques atmete tief durch, ein Seufzer, als wollte er seine Gedanken vertreiben. Eine schöne Frau, und trotzdem offen und freundlich. Loulou trat auf sie zu und berührte ihren Arm - zärtlich, wie es Jacques schien. Sie blickte hoch.
    Von den Tischen kamen lautes Lachen und Gesprächsfetzen. Einer rief: »Gilles, damit du weißt, wie ehrlich ich bin, habe ich
    dir heute zehn Sous ins Grab geworfen, als Abzahlung meiner Schulden. Den Rest erhältst du, wenn wir uns wieder treffen.«
    Brüllendes Gelächter. Die Tafia-Flaschen klirrten.
    Loulou führte Amadee an das Ende der Bank, Jacques erhob sich, knöpfte die Jacke zu und sagte: »Madame Maurel, ließe sich Trauer teilen, würde ich Ihnen gern etwas davon abnehmen. Lassen Sie mich dennoch mein Mitgefühl ausdrücken. Mein Name ist Jacques Ricou, und ich bitte um Entschuldigung, dass ich als Fremder ohne mein Zutun in diese intime Feier eingebrochen bin.«
    Amadee lachte herzlich und unterbrach ihn: »Jacques, ich weiß nicht, was Sie von meinem Mann wollten. Sie kommen aber zu spät. Loulou meinte, Sie wirkten wie ein Verwandter von Gilles, also nehmen wir Sie als solchen in unsere Runde auf. Alles andere später.«
    Sie griff nach seiner Hand, ließ die Trauergäste mitten auf einer Bank auseinander rücken, zog ihn neben sich an den Tisch und sagte in die Runde: »Seid nett zu ihm, Jacques gehört zur Familie.«
    Und um ihre Worte zu bestärken, gab sie ihm eine Bise, einen Kuss von Wange zu Wange. Ihre trockene Hand hielt seine weiterhin mit leichtem Griff auf dem Tisch und ließ sie erst los, um die Tafia-Flasche zu ergreifen, einen Schluck zu nehmen und sie ihm weiterzureichen. Er trank, obwohl er in seinem Kopf schon jenes dumpfe Gefühl empfand, das er so gut kannte. Man Yise, eine gewaltige Frau, die Leichenwäscherin, als die Amadee sie vorstellte, reichte ihm mit breitem Lachen ein gebratenes Hähnchenbein, worüber Jacques fast verzweifelte, denn er mochte weder Hähnchen, noch mochte er mit den Fingern essen.
    Gestern hatte er auf der Fahrt zum Flughafen Orly über das kalte Wetter geflucht, es war unter zehn Grad gewesen in Paris und hatte genieselt. Jetzt war sein Anzug durchgeschwitzt, der
    Kragen drückte, er war müde. Am Abend war er mit der üblichen Verspätung in Fort-de-France gelandet. Bis er in seinem Hotelbett gelegen hatte, war es weit nach Mitternacht -in Paris hatten schon die ersten Wecker geklingelt.
    Vielleicht war es doch eine Schnapsidee, Gilles Maurel des Mordes zu verdächtigen. Einen Mann von über neunzig, der zu allem Überfluss auch noch gestorben war, bevor er ihn hatte sprechen können. Da er aber kein Mann war, der Schnapsideen verfolgt, konnte er sich die Fragwürdigkeit seiner Reise auch nicht eingestehen. Man muss allen, auch den unmöglichen Spuren nachgehen, lautete sein Prinzip, das er immer noch nicht für falsch hielt, schließlich hatte es ihn zum Erfolg gebracht -und dafür wurde er gefürchtet.
    Nichts ist unmöglich, solange man es nicht versucht hat, pflegte er zu antworten, wenn jemand eine seiner Anweisungen als phantastisch abtun wollte.
    Amadee ergriff noch einmal seine Hand, sagte: »Es ist genug Tafia da«, stellte die Flasche vor ihn, lachte und stand auf, während die Trommeln unter kräftigen Schlägen wieder zu dröhnen begannen.
    Jacques spürte ihre Hand noch lange. Sie war trocken und sanft, so wie die von Jacqueline, die jedes neue Schönheitsmittel ausprobierte. Nicht nur kaum sichtbare Falten ließ seine Ex mit dem Wundermittel Botox wegspritzen, sondern auch die Feuchtigkeit auf der Handfläche. Sie hasste Schweißpatschen, wie sie sich ausdrückte. Du lieber Gott, Jacques schüttelte sich innerlich, Jacqueline! Deren Anwalt hatte wieder finanzielle Forderungen gestellt, obwohl sie es war, die ihn verlassen hatte und die schließlich auch nicht schlecht verdiente. Kein Wunder,
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