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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Autoren: Ulrich Wickert
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in einem rosa Aktenordner, die Farbe für Finanzdelikte, weiter an den für diese Dinge zuständigen Untersuchungsrichter Jacques Ricou geleitet, und der hatte schon beim Öffnen des Umschlags gegenüber Martine den Verdacht geäußert, es könne sich hier wieder einmal um einen Fall illegaler Parteienfinanzierung handeln. Das wäre beileibe nicht das erste Mal. Denn die Parteien in Frankreich hatten sich ein besonderes System der Selbstbedienung zu ihrer Finanzierung ausgedacht.
    Die Politiker hatten einfach den Satz von Louis Quatorze, »l'Etat, c'est moi«, auf sich bezogen und, unter Verdrängung der Ursachen, die zur französischen Revolution geführt hatten, dieses Postulat umgewandelt in: Der Staat gehört uns. Daraufhin hatten sie ohne Scheu Millionenbeträge aus den öffentlichen
    Kassen abgezweigt, um ihre Wahlkämpfe - und nicht nur die -zu bezahlen. Denn jeder, der das Schwarzgeld zwischen die Finger bekam, teilte es in mehrere Häufchen und behielt einen stattlichen Prozentsatz für sich.
    Das System funktionierte äußerst simpel: Firmen, die Aufträge von Gemeinden oder anderen staatlichen oder städtischen Einrichtungen erhielten, zahlten zehn Prozent der Vertragssumme an »Planungsbüros«, die zwar nichts planten, aber das Geld an die schwarzen Kassen ihrer Partei weiterleiteten, die wiederum im Gemeinderat oder im Rathaus über die Vergabe von Aufträgen entschied. Für die Unternehmen war das Geschäft mit den Rechnungen in jedem Falle einträglich. Sie stellten die Kosten für die angebliche Arbeit der Planungsbüros den öffentlichen Kassen wieder in Rechnung. So wanderten in Wirklichkeit Steuergroschen meist über den Umweg ausländischer Währung in die Taschen der Politiker.
    An diesem nationalen Brauchtum änderte sich auch nichts, als ein Gesetz zur Parteienfinanzierung diese Art der Wertschöpfung untersagte. Denn die politische Klasse rechnete fest damit, dass Justitia unter der Binde vor den Augen hindurchlugen, den Politiker vor sich erkennen und dann ein Auge zudrücken würde. Zumindest war es immer so gewesen: Die Justiz tat der Politik nicht weh, schließlich hatte die Regierung stets den längeren Atem; denn wer sprach wohl Beförderungen oder Ernennungen aus?
    Die Rechnungen in Ricous rosa Dossier stammten aus den Jahren 1994 und 1995, beliefen sich auf mehrere hundert Millionen Francs, und der Richter hatte durch diskrete Recherchen schnell herausgefunden, dass die »Sotax« außer einer Sekretärin, die auf gediegenem Papier Rechnungen schrieb, niemanden beschäftigte.
    General de Montagnac war eine schillernde Figur. Als Berufssoldat hatte er sich im Zweiten Weltkrieg in Indochina
    und Algerien bewährt und es bis zum General gebracht. Mit sechzig als Militär pensioniert, war er nahtlos in eine Karriere als Politiker gewechselt und wurde zweimal für jeweils sechs Jahre zum Senator gewählt - ein ehrenwertes, scheinbar sogar politisch gewichtiges, aber im Machtgeflecht von Paris ziemlich unbedeutendes Amt. Doch in Paris zählen die Fassaden, der äußere Prunk verdeckt den Plunder dahinter. Der Sitz des Senats, das Palais de Luxembourg, wirkt noch beeindruckender und würdiger als die hellenistische Fassade der Assemblee nationale. Und ein Senator wird nicht direkt, sondern von den Wahlmännern der Regionen gewählt, das lässt ihn vermeintlich hoheitsvoll über den Parteien schweben. Doch trotz all ihrer Würde - zu sagen haben die alten Herren im Senat recht wenig.
    Balthazar de Montagnac, aus kleinem Adel im Süden Frankreichs stammend, war erst als Politiker reich und einflussreich geworden, und obwohl seine Zeit im Senat schon fünf Jahre zurücklag, galt er immer noch als einer der Barone der L.E.F., einer konservativen Sammlungsbewegung unter dem populistisch klingenden Namen »Liberte - Egalite - Fraternite«, Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit, was einst die wilden Revolutionäre gefordert hatten. In der Öffentlichkeit wurde er, der nun auf die Achtzig zuging, immer noch als der General angesprochen. Er war ein nüchterner, ja, humorloser Mann, doch, ausgestattet mit einem viereckigen Schädel und einem in Jahrzehnten Militärdienst trainierten straffen Brustkorb, strahlte er große Bedeutung aus mit seinem aufrechten Gang und der stets perfekt gepflegten dunklen Mähne, deren Haaransatz er sich einmal in der Woche von den hübschen, in luftige Kittel gekleideten Mädchen bei Monsieur Georges in der Avenue Franklin D. Roosevelt mit einem Pinsel schwarz
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