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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Autoren: Ulrich Wickert
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behandelten die Mutter wie eine Angestellte. Schon als er sieben war, wurde auch Victor zur Arbeit auf der Plantage eingesetzt, so dass seine Muskeln sich mehr entwickelten als sein Geist. Aber pfiffig war er wohl, ein Kerl mit wachem Instinkt und Verstand.
    Während des Algerienkriegs leistete Victor seinen Militärdienst in der französischen Armee ab und kämpfte mit Herz und Waffe für den Erhalt der Kolonie, machte nach der Unabhängigkeitserklärung einen kurzen Abstecher nach Frankreich, wo er nicht Fuß fassen konnte, und tauchte erst Mitte der siebziger Jahre wieder als Eigentümer einer Bananen-und Ananasfarm an der Elfenbeinküste auf. Hier, in dem Land, das bis 1960 auch französische Kolonie war, hatte unter der jahrzehntelangen Herrschaft von Staatspräsident Felix Houphouet-Boigny ein afrikanisches Wirtschaftswunder stattgefunden, dank einer liberalen Politik und der engen Bindung an Frankreich. Erst als es 1985 an der Elfenbeinküste wirtschaftlich bergab ging, war LaBrousse auf die französischen Antillen umgesiedelt.
    Jacques steuerte den Peugeot zwischen den Riesenwurzeln von zwei hundert Jahre alten Kapokbäumen hindurch, die eine natürliche Einfahrt zur Habitation LaBrousse bildeten. Der Weg öffnete sich in einen weiten Platz, an dessen Stirnseite, ein wenig erhöht, das Wohnhaus auf einer ungepflegten Wiese stand. Ein ursprünglich weiß getünchter Bau ohne jeden Stil, der vielleicht vor zwanzig Jahren errichtet und seitdem nie wieder gestrichen worden war. Die tropische Feuchtigkeit hatte grünliche Spuren unten an den Mauern hinterlassen, und an den Fenstersimsen aus Beton hatte der Regen parallel von oben nach unten kleine schwarzgrüne Linien gezogen.
    Seitlich zu dem Haus, nur ein wenig tiefer, lag ein langes Wirtschaftsgebäude mit rostigem Wellblechdach, vor dem ein alter Citroen-Kastenwagen parkte. Kein Mensch war zu sehen.
    Jacques stieg aus dem Auto und hörte Motorengeräusche, die sich vom Wald her näherten. Auf einer Piste hinter dem Wirtschaftsgebäude fuhren mit großem Tempo und wegen des Staubes in gebührendem Abstand voneinander drei Geländewagen, ein offener Jeep, wie ihn die amerikanische Armee schon im Zweiten Weltkrieg benutzt hatte, mit
    heruntergeklappter Windschutzscheibe, gefolgt von zwei geschlossenen Landrovern. Eine Superwinde an der vorderen Stoßstange des etwas älteren Modells »Defender« gab dem Fahrzeug ein verwegenes Aussehen - aber, so sagte sich Jacques, solch eine Ausstattung ist in dieser Gegend vermutlich unentbehrlich.
    Aus den Wagen stiegen zwei Weiße und einige mit Gewehren bewaffnete Kreolen, die abwartend stehen blieben. Gute Gewehre, erkannte Jacques, zumindest gut gepflegte, doch nicht so edel wie das Paar Schrotflinten mit Anschlag aus Rosenholz, das sich sein ehemaliger Schwiegervater in Saint Etienne von Georges Granger hatte machen lassen. So ein Stück würde heute wohl fünfzigtausend Euro kosten. Dafür war das Zwillingspaar aber auch vollkommen identisch, die Balance auf das Gramm genau ausgewogen, damit jedes Gewehr gleich in der Hand lag, wenn der Treiber es nachgeladen hatte und dem Jäger zum neuerlichen Schuss reichte. Für die Jagd auf Rotwild hatte sich der alte Herr das Tactical Elite SBS 96 von Steyr zum Präzisionsgewehr umbauen lassen. Aber so teure Waffen waren etwas für Lodenträger im Jagdrevier im Elsass, nichts jedoch für einen Planteur auf Martinique.
    Jacques erkannte LaBrousse, mit seinen kurz geschorenen drahtigen Haaren, sofort an dem selbstbewussten Auftreten und an dem herrischen Zeichen, mit dem er seinen Begleitern bedeutete, sich zurückzuziehen. Sie kletterten wieder in Jeep und Defender und fuhren weiter zum Wirtschaftsgebäude. Dort blieben sie, mit den Gewehren lässig im Arm, am offenen Tor stehen.
    Als der Bananenpflanzer ihm mit einem kurzen Winken andeuten wollte, er sei jetzt dran, war Jacques schon auf ihn zugetreten. Er hatte geahnt, dass LaBrousse vor seinen Männern den harten Kerl rauskehren würde.
    Sie sprachen gleichzeitig los.
    Jacques: »Monsieur LaBrousse?«
    LaBrousse: »Kommen Sie.«
    Jacques zögerte, ob er die Hand ausstrecken sollte, doch da drehte ihm LaBrousse schon den Rücken zu, klemmte sein Gewehr in die rechte Armbeuge und ging einen ausgetretenen Pfad entlang auf das Wohnhaus zu.
    Auf dem einfach gefliesten Boden im Wohnzimmer standen wenige Möbel, ein Küchentisch mit sechs Stühlen, ein mit Papieren übersäter Schreibtisch. An der Wand über einer braunen Couch hingen
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