Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
Autoren: Ulrich Wickert
Vom Netzwerk:
Machen wir das so. Wenn ich dich richtig interpretiere, dann weißt du zwar nicht, wo sich La-Brousse versteckt hält, aber du weißt, wo du Amadee finden kannst.«
    »Ich ahne es.«
    *
    Auf der Straße standen Wasserlachen. Der Asphalt dampfte. Es war schwül. Alize nennen die Franzosen den Passatwind, der, verursacht durch die Erdumdrehung, in der nördlichen Hälfte des Planeten beständig nach Südwest weht. In Martinique trifft der Alize auf den Osthang des Mont Pelee, wo das an der Küste verdampfende Wasser aufsteigt und vom Wind immer höher bis an den Schlund des Vulkans getrieben und dort zu dicken Wolken zusammengepresst wird. Die Luft am Gipfel kühlt den Wasserdampf dann ab, so dass immer wieder kurze, heftige Schauer auf dieser Seite der Insel niederprasseln. Eine Abkühlung, die leider nicht lange währt, die stechende Sonne erhitzt die Luft zu schnell. Die Schwüle nutzt den Pflanzen und quält den Menschen. Zumindest wenn er, wie Jacques, die feuchte Hitze nicht gewöhnt ist.
    Jacques schwitzte in dem hellen Peugeot 206, den er auch diesmal ohne Klimaanlage gemietet hatte. Er wollte immer noch
    Kosten sparen für den Staat. Hätte Jacqueline neben ihm gesessen, dann hätte sie ihm zu Recht vorgehalten, er solle nur daran denken, wie der Staat ihn behandele. Der Staat, so hätte er geantwortet, behandelt mich gar nicht. Probleme schaffen mir höchstens Personen, die den Dienst am Staat anders verstehen als ich. Wenn ich Geld im Auftrag des Staates ausgebe, denke ich daran, dass dieses Geld nicht aus der Druckerpresse kommt, sondern von jedem Bürger erarbeitet und als lästige Steuer abgeführt werden muss. Dafür kann ich auch ein wenig schwitzen.
    Jacques fuhr zur Habitation Alize. Zu Amadee. Als er, von der N 3 kommend, links in die N 1 am Ostufer von Martinique einbog, Richtung Bässe-Pointe, fühlte er sich hier schon fast heimisch. Vor knapp drei Wochen war er verschwitzt im eleganten grauen Anzug diese Strecke zum ersten Mal gefahren und hatte nur Loulou angetroffen, der ihn zu der kreolischen Totenfeier für Gilles Maurel in den Wald mitgenommen hatte. Zur Tafia-Nacht! Wenn er nur daran dachte, schüttelte es ihn. Aber immerhin war auf den Tafia-Rausch kein Kater gefolgt.
    Amadee. Er hatte sie zum ersten Mal gesehen, als sie mitten auf der Lichtung wie in Trance tanzte. Wenn er daran dachte, fühlte er sich, als habe sie ihn in jener Nacht in einen Rausch versetzt.
    Amadee. Sie verkörperte die Karibik, die Ferne, in der er sich gern heimisch fühlen würde. Und je näher er der Habitation Alize kam, desto deutlicher fielen Paris und der Stress und die Anspannung von ihm ab.
    Diesmal hatte er sich auf das Klima der Karibik eingerichtet, er trug zu einer leichten Hose ein blaues Hemd mit offenem Kragen. Keine Krawatte. Eine dünne Jacke lag auf dem Rücksitz.
    Kurz vor Bässe-Pointe blinkte er nach links, bremste, und nachdem er einen entgegenkommenden Lastwagen
    vorbeigelassen hatte, bog er in die Allee aus hohen alten Dattelpalmen ein, die, immer steiler werdend, zu Amadee führte.
    Nach wenigen Metern versperrte ihm eine Barriere aus Baumstämmen den Weg. Jacques stieg aus, spürte eine angenehm leichte Brise und begutachtete die Sperre. Geschickt gebaut. Es würde ausreichen, einen Baum zu bewegen, damit er sich mit dem 206 durchschlängeln könnte. Ein kreolischer Ruf schreckte ihn auf.
    »Ca ou le?«, rief ein kräftiger Einheimischer, der in seiner Linken ein Schrotflinte trug: »Ca ou le - was willst du?«
    Der Mann kletterte hinter den aufgeschichteten Bäumen hervor und musterte Jacques. Doch roch bevor der Richter aus Paris antworten konnte, lachte er los, streckte ihm seine Rechte entgegen und redete in einer Mischung aus Kreolisch und Französisch auf ihn ein. Frere juge, Bruder Richter, hörte Jacques aus dem Kauderwelsch heraus, und er begann sich vage an die Glubschaugen zu erinnern. Bei der Trauerfeier für Gilles, vielmehr beim Tafia, hatte dieser Kreole ihn gefragt, ob er des Toten Bruder sei, und ihm immer wieder die Flasche an den Mund gedrängt. Jacques ergriff die dargebotene Hand, kam aber kaum noch dazu, ein Wort der Begrüßung zu murmeln, ehe der kräftige Mann sich umdrehte und mit seinem gewaltigen Organ ein paar Worte rief. Daraufhin krochen aus den angrenzenden Bananenstauden noch vier weitere Männer mit Gewehren hervor, legten die Waffen beiseite, trugen einen Baumstamm weg und öffneten im Handumdrehen die Sperre, so dass Jacques seinen Wagen vorsichtig an den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher