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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd
Autoren: Margaret Atwood
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schon an anderer Stelle sagte, gab es nur wenig, was seinem Ursprung oder seiner Herkunft nach mit Gilead verbunden war: Gileads Begabung war die Synthese.
    Judd dagegen scheint weniger an der Verpackung interessiert gewesen zu sein und sich mehr um die Taktik gekümmert zu haben. Er war es, der die Anwendung eines obskuren »C.I.A.«-Pamphlets über die Destabilisierung ausländischer Regierungen als strategisches Lehrbuch für die Söhne Jakobs empfahl, und er stellte auch die frühen Abschußlisten prominenter »Amerikaner« jener Zeit auf.
    Ebenso steht er in dem Verdacht, das Massaker am Tag des Präsidenten inszeniert zu haben, was ein Höchstmaß an Infiltration des den Kongreß umgebenden Sicherheitssystems erfordert haben dürfte und ohne das die Verfassung niemals hätte suspendiert werden können. Die Nationalen Heimatländer und der Jüdische Boat People-Plan sind beide seine Erfindung, ebenso wie die Idee der Privatisierung des jüdischen Repatriierungsplans – mit dem Ergebnis, daß mehr als eine Schiffsladung Juden einfach in den Atlantik gekippt wurde, um den Profit zu maximieren. Nach allem, was wir über Judd wissen, dürfte ihn das nicht sonderlich beunruhigt haben. Er steuerte einen harten Kurs, und von Limpkin wird ihm die Bemerkung zugeschrieben: »Unser großer Fehler war, ihnen das Lesen beizubringen. Das werden wir nicht wieder tun.«
    Judd wird ebenfalls zugeschrieben, Form und Ablauf – im Gegensatz zum Namen – der Partizikution entwickelt zu haben. Er argumentierte, daß dies nicht nur eine besonders erschreckende und wirkungsvolle Methode sei, sich subversiver Elemente zu entledigen, sondern daß sie auch als Ventil für die weiblichen Elemente in Gilead dienen werde. Sündenböcke sind bekanntlich zu allen Zeiten der Geschichte nützlich gewesen, und es muß für diese Mägde, die sonst unter so strenger Kontrolle lebten, höchst befriedigend gewesen sein, hin und wieder einen Mann mit bloßen Händen zerreißen zu dürfen. Diese Praxis war dermaßen beliebt und wirkungsvoll, daß sie während der mittleren Periode zum Gesetz erhoben wurde und von nun an viermal jährlich, an den Tagen der Sommer- und Wintersonnenwende und während der Tagundnachtgleichen stattfand. Hier scheinen Fruchtbarkeitsriten der frühen Erdgöttin-Kulte nachzuwirken. Wie wir bei der Podiumsdiskussion gestern nachmittag hörten, war Gilead, wenn auch der Form nach zweifellos patriarchalisch, inhaltlich doch gelegentlich matriarchalisch – wie zuvor schon einige Bereiche der Sozialstruktur, die zu seiner Entstehung geführt haben. Wie die Gründer Gileads wußten, muß man, um ein gut funktionierendes totalitäres System oder überhaupt irgendein System zu gründen, zumindest einigen wenigen Privilegierten einige Vorrechte und Freiheiten anbieten, als Entschädigung für die, die man abschafft.
    In diesem Zusammenhang sind vielleicht ein paar Bemerkungen über die erstklassige weibliche Kontrollinstitution der sogenannten »Tanten« angebracht. Judd war – dem Limpkinschen Material zufolge – von Anfang an der Meinung, daß die beste und kostengünstigste Methode, Frauen für reproduktive und andere Zwecke zu kontrollieren, darin bestand, diese Aufgabe Frauen zu übertragen. Dafür gab es zahlreiche historische Präzedenzfälle. Tatsächlich ist kein durch Gewalt oder auf andere Weise errichtetes Imperium je ohne diese Besonderheit ausgekommen: die Kontrolle der Einheimischen durch Mitglieder ihrer eigenen Gruppe. Im Falle Gileads waren viele Frauen willens, als Tanten zu dienen, entweder weil sie wirklich an das glaubten, was sie »traditionelle Werte« nannten, oder aber um der Vorteile willen, die sie sich dadurch möglicherweise verschaffen konnten. Wenn Macht rar ist, ist schon ein klein wenig davon verführerisch. Es gab auch einen negativen Anreiz: kinderlose oder unfruchtbare oder ältere Frauen, die nicht verheiratet waren, konnten sich als Tanten verdingen und so dem Überflüssigsein und der daraus resultierenden Verschiffung in die berüchtigten Kolonien entrinnen, wo transportierbare Bevölkerungsgruppen lebten, die vorwiegend als billige Arbeitstrupps für die Beseitigung von Giftmüll eingesetzt wurden, obwohl einem bei ein wenig Glück auch weniger gefährliche Arbeiten wie Baumwollpflücken und Obsternten zugewiesen werden konnten.
    Die Idee also stammt von Judd, aber die Durchführung trägt Waterfords Stempel. Wer sonst unter den Teilnehmern der Strategieseminare der Söhne Jakobs wäre
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