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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd
Autoren: Margaret Atwood
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jetzt darüber nachzudenken, schon stampfen sie auf dem altrosa Teppichbelag die Treppe herauf, ein schwerer gedämpfter Tritt, Pochen in der Stirn. Mein Rücken ist dem Fenster zugekehrt.
    Ich erwarte einen Fremden, aber es ist Nick, der die Tür aufstößt, das Licht anknipst. Ich kann das nicht einordnen, es sei denn, er ist einer von ihnen. Diese Möglichkeit hat immer bestanden. Nick, das Privat-Auge. Schmutzige Arbeit wird von schmutzigen Menschen verrichtet.
    Du Scheißer, denke ich. Ich öffne den Mund, um es zu sagen, aber er kommt herüber, dicht an mich heran, flüstert. »Alles in Ordnung. Es ist Mayday. Geh mit ihnen.« Er nennt mich bei meinem richtigen Namen. Warum sollte das etwas bedeuten?
    »Mit denen?« frage ich. Ich sehe die beiden Männer hinter ihm stehen, das Deckenlicht im Flur macht Totenschädel aus ihren Köpfen. »Du mußt verrückt sein.« Mein Mißtrauen hängt in der Luft über ihm, ein dunkler Engel, der mich warnend fortwinkt. Ich kann es fast sehen. Warum sollte er nicht über Mayday Bescheid wissen? Alle Augen müssen davon wissen – sie werden es inzwischen aus genügend Körpern, aus genügend Mündern herausgepreßt, herausgewunden haben.
    »Vertrau mir«, sagt er. Was für sich genommen noch nie ein Talisman gewesen ist, keine Garantie beinhaltet.
    Aber ich schnappe danach, nach diesem Angebot. Es ist alles, was mir noch bleibt.
     
    Einer vor mir, einer hinter mir, geleiten sie mich die Treppe hinunter. Das Tempo ist gemächlich, die Lichter brennen. Trotz der Angst – wie gewöhnlich! Von hier aus sehe ich die Uhr. Es ist keine besondere Zeit.
    Nick ist nicht mehr bei uns. Vielleicht ist er die Hintertreppe hinuntergegangen, weil er nicht gesehen werden wollte.
    Serena Joy steht in der Diele, unter dem Spiegel, schaut ungläubig herauf. Der Kommandant steht hinter ihr, die Wohnzimmertür ist offen. Sein Haar ist sehr grau. Er sieht bekümmert aus und hilflos, aber so, als ziehe er sich schon von mir zurück, als distanziere er sich. Was ich ihm auch bedeuten mag, in diesem Augenblick bin ich für ihn auch eine Katastrophe. Zweifellos haben sie sich gestritten, wegen mir; zweifellos hat sie ihm die Hölle heiß gemacht. Ich bin immer noch geneigt, Mitleid mit ihm zu empfinden. Moira hat recht, ich bin ein Waschlappen.
    »Was hat sie getan?« fragt Serena Joy. Dann hat sie sie also nicht gerufen. Was immer sie sich für mich ausgedacht hatte, war mehr privater Natur.
    »Wir dürfen nichts sagen, Ma'am«, sagt der vor mir, »tut mir leid.«
    »Ich muß Ihre Bevollmächtigung sehen«, sagt der Kommandant. »Haben Sie einen Haftbefehl?«
    Ich könnte losschreien, mich ans Treppengeländer klammern, alle Würde aufgeben. Ich könnte sie aufhalten, zumindest einen Augenblick lang. Wenn sie echt sind, werden sie bleiben, wenn nicht, werden sie davonlaufen. Und mich hier zurücklassen.
    »Nicht daß wir einen brauchen, Sir, aber alles ist in Ordnung«, sagt der erste wieder. »Verletzung von Staatsgeheimnissen.«
    Der Kommandant hebt die Hand an seinen Kopf. Was habe ich gesagt, und zu wem, und welcher seiner Feinde hat es herausgefunden? Möglicherweise wird er jetzt ein Sicherheitsrisiko sein. Ich stehe über ihm, schaue hinunter; er schrumpft. Es hat schon Säuberungen in ihren Reihen gegeben, und es wird mehr geben. Serena Joy wird weiß.
    »Miststück«, sagt sie. »Nach allem, was er für dich getan hat.«
    Cora und Rita drängen sich von der Küche her durch. Cora hat angefangen zu weinen. Ich war ihre Hoffnung, ich habe sie enttäuscht. Jetzt wird sie immer kinderlos bleiben.
    Der Wagen wartet in der Einfahrt, seine Doppeltür steht offen. Die beiden, jetzt einer an jeder Seite, fassen mich an den Ellbogen, um mir hineinzuhelfen. Ob dies mein Ende ist oder ein neuer Anfang – ich vermag es nicht zu sagen: Ich habe mich in die Hände von Fremden gegeben, denn es bleibt mir nichts anderes übrig.
    Und so steige ich hinauf, in die Dunkelheit dort drinnen oder ins Licht.
     

Historische Anmerkungen zum
Report der Magd
    Auszug aus der Niederschrift der Protokolle des Zwölften Symposions über Gileadstudien, das, abgehalten im Rahmen der Internationalen Tagung der Vereinigung der Historiker, am 25. Juni 2195 an der Universität Denay in Nunavit stattfand.
     
    Vorsitz: Professor Maryann Crescent Moon, Abteilung für Europide Anthropologie, Universität Denay, Nunavit.
     
    Hauptvortragender: Professor James Darcy Pieixoto, Direktor der Archive Zwanzigstes und Einundzwanzigstes
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