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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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geheißen, und so hieß er immer noch. Das Meer gab es auch noch und die hohen Wellen. Sogar der Campingplatz war noch da, ein bisschen neu angelegt, aber im Grunde so wie damals. Geschlossen natürlich im November. Tretjak hatte sich in einer Pension einquartiert. Es hatte geschüttet wie aus Kübeln, und er war trotzdem ein paarmal am Strand gewesen, ganz allein auf dieser kilometerlangen Anhäufung von Sand. Aber empfunden hatte er nichts. Wie alt mochte er damals gewesen sein? Sieben? Er hatte sich an ein Volleyballspiel erinnert, zu viert. Und an ein furchtbares Gewitter, bei dem der Blitz in eine Pinie eingeschlagen hatte. Das war’s. Der Anruf des Kriminalbeamten Gritz war ihm gerade recht gekommen, um diesen Aufenthalt vorzeitig abzubrechen.
    »Wie geht es eigentlich Ihrem Chef, dem Kommissar Maler?«, fragte Tretjak, als sie nebeneinander über das Gelände des Bezirkskrankenhauses Haar liefen. Sicherheitsverwahrung, das war ihr Ziel. Haus 10. Zimmer 34/B. Nora Krabbe. Zwei Männer in weißen Kitteln kamen ihnen eiligen Schritts entgegen. Sie froren.
    »Leider nicht gut«, antwortete Gritz. »Die Ärzte haben die Folgen der schweren Abstoßung immer noch nicht im Griff. Er ist wieder auf der Intensivstation.« Der junge Mann seufzte. »Ich war gestern bei ihm, aber das ist sinnlos, er redet vollkommen wirres Zeug.«
    »Das tut mir leid«, sagte Tretjak.
    Eine kleine Weile gingen sie schweigend weiter. Rainer Gritz hatte Tretjak angerufen, weil die Polizei, wie er sagte, dabei war, die Ermittlungsakte zu schließen. Er würde ihm gern alles mitteilen, was sie herausgefunden hatten. Und vielleicht noch ein paar letzte Fragen mit ihm besprechen.
    Nora Krabbe, erfuhr Gabriel Tretjak, hatte wohl den Rechner ihres Vaters durchstöbert. Und dabei Gabriel Tretjaks Namen eingegeben. So war sie auf eine Mail gestoßen, in der ihr Vater ihn um Rat gebeten hatte. Drei Jahre etwa war das her. Tretjak erinnerte sich gut. Er hatte sich gewundert, dass Krabbe zu ihm Kontakt aufnahm – nach so langer Zeit und allem was passiert war. Seine Tochter würde ihm Sorgen machen, stand in der Mail. Er hatte von großen psychischen Problemen geschrieben. Tretjak hatte ihm in seiner Antwort zwei Namen genannt: Harry Kerkhoff und Norbert Kufner, der eine Gehirnforscher, der andere Psychiater. Und er hatte bei beiden Termine gemacht. Mehr hatte er damit nicht zu tun gehabt.
    »Wissen Sie«, sagte er jetzt zu Gritz, »ich konnte mich nicht mal an den Namen seiner Tochter erinnern.«
    »Umgekehrt war das ganz anders«, sagte Gritz. »Unsere Gutachter sprechen von einer krankhaften Fixierung auf Sie.« Er sah Tretjak von der Seite an, als erwarte er einen Kommentar. Aber Tretjak verspürte keinerlei Bedürfnis, das zu kommentieren. »Apropos Gutachter«, fuhr Gritz schließlich fort, »Kerkhoff und Kufner sind damals zu denselben Ergebnissen gekommen wie unsere Experten heute: Schizophrenie, Ansätze zur multiplen Persönlichkeit, ein komplett disloziertes Wertesystem, autoaggressive Züge. Diese Gutachten waren natürlich nur für den Vater bestimmt. Aber die Tochter hat sie heimlich gelesen.«
    Gritz redete weiter, sprach von der Verbindung der Gutachten zu ihm, Tretjak, von einer Verstärkung und Verselbständigung der Fixierung. »Schließlich hat Sie Ihnen eine E-Mail geschickt. Die Adresse hatte sie ja. Nur den Absender hat sie manipuliert. Finanzamt München I.«
    »Ja, ich hätte mich wundern müssen«, sagte Tretjak. »Trotz E-Mail, E-Brief und allem: Finanzämter schicken ihre Sachen per Post.«
    Sie waren vor Haus 10 angekommen. Gritz blieb stehen, öffnete seine Aktentasche. »Ich hab Ihnen etwas mitgebracht«, sagte er.
    Er holte aus der Tasche einen Aktendeckel hervor, in dem etwa 200 Seiten Papier abgeheftet waren. Tretjak erkannte die Art des Papiers, auch in Schwarzweiß waren die Verzierungen sichtbar.
    »Das ist eine Kopie der Aufzeichnungen von Nora Krabbe«, sagte Gritz. »Von dem Moment an, als Sie Ihnen die E-Mail als Steuerprüferin schickte, hat sie Tagebuch geführt, minutiös. Es ist zugegebenermaßen manchmal nicht ganz einfach, die Eintragungen zu verstehen. Sie folgen einer sehr eigenen Logik, wenn Sie verstehen, was ich meine, und sie sind Ausdruck einer ziemlich pathologischen Gefühlswelt. Aber ich dachte, es könnte Sie interessieren. Immerhin waren Sie …« Gritz errötete leicht und brach den Satz ab. Unschlüssig hielt er den Aktendeckel in der Hand. »Wollen Sie sie haben?«
    Tretjak dachte an
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