Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Farben gleich über dem Eingang festgehalten. In solch schaurigem Sammelsurium erschien mir dies nur wie die schamlose Spitze aller Blasphemie. Welch ein Mensch konnte hinter solchen Wänden wohnen, durchsetzt vom Kampf gegen Gottes Gesetz?
    Ich stieg vom Pferd und band es an einem Gestänge vor dem Haus an. Dann trat ich zur Tür und pochte laut. Nichts regte sich. Konnte es sein, daß der Graf mit den übrigen Stadtoberen im Rathaus weilte, um den Tod des Ketzers zu verfolgen? Plötzlich schien mir dies ganz selbstverständlich, und ich fluchte auf meine eigene Dummheit.
    Im selben Augenblick aber erklang von oben die Stimme eines Mannes. »Was wollt Ihr?« fragte er grob.
    Ich trat einige Schritte zurück, stürzte fast, als ich knöcheltief im Dreck versank, und blickte hinauf zum Dach. Auf dem Turm war eine Gestalt erschienen, deren Züge ich durch Regen und Rauch nicht erkennen konnte. Ich hoffte inständig, daß es sich bei dem unflätigen Kerl um einen Diener handeln mochte, wenngleich mir die gräßliche Ahnung kam, daß es durchaus der Graf höchstpersönlich war, der dort oben finster vorm Himmelgrau dräute.
    »Seid gegrüßt«, rief ich mit gebührender Höflichkeit. Es fiel mir schwer, länger hinauf zu blicken. Der Regen brannte in meinen Augen.
    »Wer seid Ihr?« fragte der Mann, bevor ich mich erklären konnte.
    »Robert von Thalstein, Ritter des Herzogs Heinrich und von ihm entsandt. Ist dies das Haus des Grafen von Schwalenberg?«
    »In der Tat«, entgegnete der Mann. Rauschwaden schoben sich für einen Augenblick um den Turm und umhüllten seine Spitze wie ein schwarzer Blütenkelch. Ein rauhes Husten drang hinab auf die Gasse. Ich konnte nicht umhin, eine gewisse Genugtuung zu verspüren.
    »Warum seid Ihr hier?« fragte der andere schließlich.
    Ärger über soviel Mißtrauen lag in meiner Stimme, als ich antwortete: »Ich bin nicht befugt, meine Order durch ganz Hameln zu schreien. Ich bitte daher höflichst, mich einzulassen. Als treuer Diener des Herzogs droht Euch von mir keine Gefahr.«
    »Keine Gefahr?« Dies schien den Mann zu belustigen.
    Als mein Blick erneut dem Regen trotzte, war die Gestalt vom Turm verschwunden. Kurz darauf hörte ich, wie die Haustür von innen entriegelt wurde. Graue, eingefallene Züge erschienen im Türspalt. Statt mich endlich hereinzubitten, sagte der Mann: »Und Ihr seid ein Ritter des Herzogs?«
    »Das erwähnte ich schon.« Dann erst wurde mir klar, daß mein Gegenüber sich offenbar lustig machte. Sein Blick glitt über meine triefende Kleidung und das arme Pferd, von dem das Wasser in glitzernden Rinnsalen strömte. Mein Bündel, obgleich mit Leder umschlungen, war zweifellos ebenso durchdrungen von der scheußlichen Nässe wie alles andere in dieser elenden Gegend.
    »So tretet denn ein«, bat der Mann und fügte hinzu: »Ich bin Graf Albert von Schwalenberg, Statthalter des Herzogs zu Braunschweig und Ritter seiner Majestät König Rudolfs – wenn das noch etwas bedeutet, in diesen Tagen.«
    Er machte einen Schritt zur Seite, und ich betrat einen schmalen Gang, von dem nach beiden Seiten Türen in weitere Kammern führten. An seinem Ende öffnete er sich zu einem Kaminzimmer. Heiße Flammen züngelten in der Feuerstelle, und sogleich umfing mich behagliche Wärme.
    »Habt Dank«, sagte ich, als mir der Graf ein Tuch reichte.
    Er mußte meinen zweifelnden Blick bemerkt haben, denn er sagte: »Ihr wundert Euch sicher, daß keiner meiner Diener für Euer Wohlergehen sorgt und ich selbst Euch empfange.«
    »Nun, ich –«
    »Streitet es nicht ab, Ritter«, fiel er mir ins Wort. »Ich kann Unehrlichkeit nicht ertragen. Deshalb will ich Euch auch gleich die Wahrheit sagen: Es gibt keine Diener mehr in diesem Haus, nicht mal einen Knecht im Stall. Man weigert sich, in meine Dienste zu treten. Die Macht des Bischofs ist groß in Hameln.«
    Ich legte das Tuch beiseite, nachdem ich es notdürftig auf meine nasse Kleidung gepreßt hatte. Zumindest tropfte ich nicht mehr wie ein Wassergeist. »Wollt Ihr damit sagen, der Bischof verbietet den Bürgern, für Euch zu arbeiten?« fragte ich zweifelnd.
    »Nicht der Bischof persönlich, er sitzt feist und schwer im fernen Minden. Doch seine Stellvertreter in der Stadt, der Stiftsvogt, sein Probst und der Dechant wissen mich jedweder Annehmlichkeit zu berauben.«
    Über eine Treppe stiegen wir hinauf ins Obergeschoß. Es wurde von einem einzigen, mit Holz ausgeschlagenen Saal eingenommen, an dessen einer Seite eine lange
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher